03.07.11

Erkenntnisse einer Vegetarierin


Ich habe sie vermisst – meine Bücher. Vier Monate danach ist sie wieder da: die Muße zum Lesen. Einerseits kann ich mich endlich wieder auf mehr als eine reichlich bebilderte Seite konzentrieren. Andererseits lässt unser Sohnemann mich ab und an – immer häufiger, immer länger – ungestört durch die Seiten blättern. Meine erste Erkenntnis als Wiederleserin: Man sollte die Literatur, die man an seine Gehirnzellen lässt, gut auswählen. Es könnte sich um schwer verdauliche Kost handeln.

„Eating Animals“ lag schon die längste Zeit auf meinem Turm der zu lesenden Bücher. Jetzt ist das Buch halb (un-)gelesen. Und es ist nicht mehr meine mangelnde Konzentrationsfähigkeit Schuld, dass ich es vorerst wieder zur Seite gelegt habe. Mir hat es schlicht den Lese-Appetit verschlagen. Appetit auf Fleisch hatte ich bereits als Kind nur wenig – Knödel mit Saft war mein Sonntagsbraten.

Doch anders als die KonsumentInnen in Jonathan Safran Foers Buch hätte ich das Schwein durchaus gekannt. Es kam meist direkt vom Nachbarn in die elterliche Gefriertruhe und dann auf den Teller. Eine Live-Beobachtung des Schweine-Schlachtens beim Nachbarn gehörte bei uns zum Alltag (auch wenn ich mich meist in die bäuerliche Küche zurückzog und wartete bis das Schlimmste vorüber war). Für frische Blutwurst hätte ich damals alles gegeben.
Mit dem Stier „Emmerich“ waren meine Schwester, die Nachbar-Buben und ich auf du und du. Wir fütterten ihn mit Brot oder mit Erdäpfeln aus dem Dämpfer und bedauerten sehr, als er eines Tages den Kopf nicht mehr aus dem Stallfenster nach uns streckte.

Mein Sohn wird so etwas wohl nie miterleben können. Die Bauernhöfe, wie ich sie kannte, gibt es selbst im Waldviertel nicht mehr. Zwar sind die landwirtschaftlichen Betriebe dort noch weit von den „animal farms“, wie Jonathan Safran Foer sie in seinem Buch beschreibt, entfernt. Von ländlicher Idylle ist jedoch auch im nördlichen Österreich keine Spur mehr. Wo einst die Obstbäume in den Gärten wucherten, stehen heute die Stierställe für die Fleischzucht. Milchwirtschaft rentiert sich nicht mehr. Und Hühner werden maximal für den Eigenbedarf gehalten.

Wenn unser Kind schon nicht naturnah aufwächst, so soll es zumindest „naturnah“ essen können. Wie funktioniert das in einer Stadt wie Wien? Ganz einfach: Es kommt ausschließlich Obst und Gemüse aus biologischer Landwirtschaft in den Einkaufskorb. Da darf es einen jedoch nicht kümmern, dass vieles davon weit gereist ist. Dabei hat man mir virtuell vom „Ja, natürlich-Biocamp 2011“ mitgeteilt, dass Österreich sich von ausschließlich heimischem Biolandbau ernähren könnte. Es müssten sich bloß alle Fleisch-EsserInnen ein Herz fassen und „weniger ist mehr“ leben. Braten im Winter und Grillhuhn im Sommer gäbe es wieder nur sonntags. Und die Milchkühlregale in den Supermärkten wären künftig auf etwa halbe Größe reduziert.

Schlicht undenkbar im Schnitzelland. Spätestens nach dem Passieren der Wiener Stadtgrenze tun sich Österreich-typische Essgewohnheiten auf. „Sie essen kein Fleisch? Hm. Wir hätten Fischstäbchen.“
Mahlzeit!