23.12.12

1x pro Tag stell ich mich tot


„Psst. Stör deinen Onkel nicht. Er macht gerade Yoga.“ Also verhielt ich mich still und schlich mich wieder aus dem Zimmer. Das war in den 1970er-Jahren in der Wohnung meiner Oma in St. Pölten. Mein Onkel lebte damals noch bei ihr. In seiner Ecke des Schlafzimmers gab es ein kleines Bücherregal, in dem auch Bücher über Yoga standen. Ich blätterte neugierig darin. War fasziniert von den mir damals absurd scheinenden Verrenkungen. Und doch dürfte es sich auf mein späteres Leben ausgewirkt haben. Denn heute bin ich eine begeisterte Anhängerin dieser östlichen Bewegungs-, Atmungs- und Meditationslehre. Eine von vielen. Als mein Onkel übte, waren Yoga-Praktizierende fast ausnahmslos von ihren Mitmenschen milde belächelte Freaks mit langem Haar und einem Bart. In den 2000er-Jahren sind mehrheitlich Frauen yoga-begeistert.

Doch kann ich derzeit nur bedingt in Ruhe praktizieren. Es nützt wenig, wenn ich unserem Sohn (22 Monate) sage: „Psst. Die Mama übt Yoga.“ Also sitzt er neben mir oder auf meinem Lotussitz bei den Atemübungen. Hängt an meinen Beinen, wenn ich in den Schulterstand gehen will. Oder platziert sich auf meinen Bauch, wenn ich die schiefe Ebene als Gegenbewegung zur Kopf-Knie-Haltung mache.

Eines ist gewiss: Wenn ich am Morgen genug Zeit (und teils Ruhe, wenn unser Kleiner länger schläft als ich) zum Üben hatte, dann ist mein Gang aufrechter. Der Rücken bleibt länger gerade. Die Schultern drängen nicht gleich am Vormittag darauf, sich nach innen zu rollen. Leider hält der Effekt nicht ewig. Spätestens am Nachmittag ist es vorbei mit der Körperspannung. Besonders, wenn ich unseren Kleinen vom Kindergarten in der Blattgasse nach Hause in die Landstraße trage und dabei den Rucksack mit den wichtigsten Dingen fürs Abendessen und das Frühstück am nächsten Morgen fülle.

Wie lange ich übe? Mindestens sechs Wiederholungen des Sonnengrußes, wenn ich spät dran bin. Sonst eine halbe Stunde am Morgen, je nachdem wie viel Zeit ich mir mit der Entspannungslage / Totenstellung /savasana (der einzige Begriff aus dem Sanskrit, den ich gut kenne und ohne nachzuschauen zuordnen kann) lasse. Angeblich ist dies ein guter Weg, um das eigene Sterben zu üben. Steht zumindest in einer der Yogazeitschriften, die ich seit 2004 lese und die sich seither in meinem Regal türmen.