31.08.11

Erkenntnisse eines Öko-Fuzzis


Mit vierzehn wollte ich zu gerne in Hainburg dabei sein. Allein – ich durfte nicht. Also hing ich unserem Religionsprofessor an den Lippen, als er uns von seinen Erlebnissen in der winterlichen und bitterkalten Au erzählte. Es sollte auch noch weitere zehn Jahre dauern, bis ich mich mit Haut und Haaren dem Umweltschutz verschrieb. Global 2000 war die erste Station, zum Protest als Regenwaldbaum verkleidet bei der damaligen Umweltministerin Maria Rauch-Kallat meine erste Aktion. Gebüsch hing mir über die Augen. Und mahnend hielt ich ein Kreuz aus eben jenem Tropenholz in den Händen.

Schon in der Schule überzeugte ich meine Mitschülerinnen, doch besser treibgasfreien Haarspray zu verwenden. Die Getränkedosen in den Händen der Mitschüler waren mir in jeder großen Pause ein Dorn im Auge. Ich animierte meine Mutter zur Mülltrennung. Papier extra – machte den Anfang. Heute ist das Österreich weit längst Standard.

Ich besitze kein Auto. Gehe in Wien viel zu Fuß, fahre mit dem Rad oder nutze das exzellente Öffi-Netz (nein, das ist keine von der Stadt Wien bezahlte Werbung).
Und dann kam Colin. Und mit ihm gingen viele der grünen Vorsätze. Ich produziere auf einmal wieder Müll ohne Ende – vor allem Windeln und Gläschen samt Metalldeckeln.

Die hehren Ansätze wie „windelfrei“ und später dann waschbare Ökowindeln verliefen alle im Sand. Erstere, weil mir die Konzentration auf das Abwarten des richtigen Moments, um ihm dann ein Küberl unterzuhalten etwas seltsam erschien. Und zweitere, weil diese Dinger so unverhältnismäßig groß waren, dass ich seine Garderobe sofort hätte generalerneuern müssen (mindestens zum Preis der geförderten Ökowindeln). Vom Grauen des Vorbereitens für den Maschinenwaschgang mal abgesehen. Ich ließ es also bleiben und ging gesenkten Hauptes zum dm, um mich mit Plastikwindeln einzudecken.

Der nächste Rückschlag erfolgte bei der ersten selbst gekochten und gemusten Karotte. Er wollte sie nicht. Also ließ ich ihn in Ruhe. Ein paar Tage zumindest. Die fertigen Bio-Gläschen akzeptierte er von Anfang an. Heute wasche ich weder Windeln noch koche ich jeden Tag kleine Menüs für unsere Mini-Ausgabe, die schon stolze 73 cm misst an an die neun Kilo auf die Waage bringt. Reumütig schleppe ich wöchentlich leere Gläschen zum Container. Der Marsch mit dem Windelsackerl zum Müllcontainer gleicht einem kleinen Canossagang.

Seit wenigen Tagen habe ich ein neues Rad mit Kindersitz. Ob mir unser Kleiner auch hier wieder einen Strich durch die Rechnung machen wird? Wir werden es sehen, sobald er sitzen kann. Für jenen Tag ist die erste Ausfahrt geplant.

11.08.11

9 Jahre und 11 Monate danach


Die S-Bahn ist auf dem Weg von Deutschkreutz nach Wien Meidling. Irgendwo auf dieser Strecke steigt ein junger Mann zu. Dunkle, kurz geschnittene, gelockte Haare, schwarzer Jogging-Anzug in Hochglanzoptik, Flip Flops in blau. Die ziemlich schmutzigen Zehen sind auch aus der Bank schräg dahinter noch deutlich sichtbar. Nach kurzer Fahrzeit beugt er sich nach hinten – hat mich und meinen Kleinen entdeckt, den ich gerade mit einem Fläschchen füttere. Ob der Zug nach Wien fahre? Ja, nach Wien Meidling. Das zweite Wort ruft eine leichte Irritation bei ihm hervor. Also wiederhole ich – ja, nach Wien und nicke unterstreichend mit dem Kopf. Scheinbar zufrieden wendet er sich ab. Ich füttere unseren Sohn weiter.

Der unbekannte Reisebegleiter sitzt immer noch mit dem Rücken zu uns in einer Bank schräg vor uns. Er tauscht die Flip Flops gegen ein Paar Turnschuhe, die er aus seinem Rucksack fischt. Dann kramt er weiter und tiefer in seiner Tasche und fördert dabei Dinge zu Tage, die einiges Befremden hervorrufen. Jetzt hat er meine volle Aufmerksamkeit. Ob das seine Absicht war? Er nimmt (Spray-)Dosen heraus und schüttelt sie. Legt sie zur Seite. Bänder und Schnüre und Drähte kommen aus dem Rucksack. Auch sie landen auf seiner Sitzbank. Was er mit diesen Einzelteilen anstellt, entzieht sich meinen Augen. Jedenfalls bringt er einige Zeit mit dem nach draußen beförderten Rucksack-Inhalt zu und packt das Ergebnis seines Tuns wieder hinein.

Der 11. September 2001 hat sich in das individuelle und kollektive Gedächtnis eingebrannt. Und somit beginnen meine Gedanken zu rasen, genauso wie mein Pulsschlag.

Lässt sich so ganz schnell eine Bombe basteln? Andere vorbeigehende PassagierInnen nehmen keine Notiz von ihm. Zu unauffällig. Zu durchschnittlich. Zu sehr weiterer Zuggast. Der Jogginganzug wechselt seinen Sitzplatz und seine Aussicht. Nun ist er im direkten Blickfeld von mir und meinem Sohn. Er hat ein Mobiltelefon in der Hand. Die Zündung? Doch schießt er „nur“ ein Foto von mir und dem Baby. Dann tippt er wie wild in das mobile Telefon. Die Zahlenkombination für die Zündung? Ich will eigentlich nicht sterben; und auch mein Sohn soll erwachsen werden.

Soll ich die Polizei rufen? Den Zug notbremsen? Wie weit reicht eine solche Bombe? Wäre ich auf der Zugtoilette sicher? Drückt er erst in der Endhaltestelle wirklich ab? Meidling ist ja seit dem Umbau des Südbahnhofs ein Knotenpunkt für Reisende und PendlerInnen geworden. Solche Fragen gehen mir durch den Kopf – bis er aufsteht, seinen Rucksack nimmt und geht – in Richtung Führerkabine der S-Bahn. Aus den Augen aus dem Sinn? Ja, für kurze Zeit. Bis er wiederkommt und auf dem Weg zur Toilette an mir vorbeigeht. Kurz vor Meidling schließt er sich dort ein. Ohne Rucksack.

Ein junger Mann im Jogginganzug bringt mich zum Schwitzen und lässt mich eine S-Bahnfahrt lang an die Endlichkeit des Lebens denken. Dabei wollte er wahrscheinlich nur spielen – mit seiner Wirkung nach außen. Es ist ihm gelungen.