31.07.14

Strahlende Vergangenheit


„Mama, wann sterben wir?“ fragt mich unser Sohn. Eine der vielen Fragen, die ich nicht beantworten kann. Bei manchen kann ich mich mit Halbwissen drüberretten; vor allem bei den zahlreichen Warum-Fragen: Warum muss ich in den Kindergarten? Warum darf ich keine Gummistiefel anziehen? Warum, warum, warum. Das Sterben ist jedoch nach wie vor ein Tabu-Thema und sehr herausfordernd, es einem Dreijährigen zu erklären.

Letzte Woche war er mit mir auf einem Begräbnis in meiner alten Heimat. Er setzte sich in die Kirchenbank, als ich meinen Nachbarn einsegnete, wie es so schön heißt; dann seinen Brüdern und seinem Vater mein Beileid bekundete. Wir hatten als Kinder gemeinsam im Sand gewühlt, DKT gespielt, Lego gebaut und sind – genauso wie meine Schwester und einer seiner Brüder – in den benachbarten Häusern ein- und ausgegangen, hatten mal hier mal dort gejausnet oder Fußball gespielt.

Die Messe verbrachten ich mit unserem Sohn vor der Kirche. Und auf dem Weg zum Friedhof ermahnte der Dreijährige die Trauergemeinde in seinem unmittelbaren Umfeld: „Wir dürfen nicht auf der Straße gehen.“ Als es dann an mir war, eine Schaufel Erde auf das noch offene Grab und den hinuntergelassenen Sarg zu werfen, war er längst auf den Schultern seines Opas auf dem Weg zum Feuerwehrhaus.

Martin ist der Vierte innerhalb kurzer Zeit, den ich als Kind und Jugendliche gut kannte und der an Krebs verstarb. Vage erinnere ich mich an die im Frühjahr 1986 in den Zeitungen geschriebene Prognose, dass es in etwa 25 Jahren zu einem Ansteigen der Krebsfälle kommen werde. Niemand von uns damals Jugendlichen hat sich nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl sonderlich anders verhalten als zuvor. Nach etwa zwei Wochen taten wir, als sei nichts gewesen. Wir haben wieder Milch getrunken, Erdbeeren gegessen und sind mit dem Fahrrad über die zahlreichen Feldwege und Schotterstraßen gefahren.

Radioaktivität sieht, hört, riecht, fühlt und schmeckt man nicht. Viele draußen auf dem Land beginnen einen Zusammenhang zu vermuten –  zwischen Tschernobyl und der merklich gestiegenen Anzahl der jungen Krebstoten. Auch ich finde es überzufällig, dass diese Todesfälle merklich zugenommen haben. Beweise über einen Zusammenhang habe ich keine.

Vielleicht war es eine „weise“ Entscheidung dem Leben im Waldviertel mit neunzehn den Rücken zuzukehren. Vier Menschen aus meinem näheren Umfeld sind dort wohnen geblieben. Hat genau das ihr Leben verkürzt?