„Mama, wann
sterben wir?“ fragt mich unser Sohn. Eine der vielen Fragen, die ich nicht
beantworten kann. Bei manchen kann ich mich mit Halbwissen drüberretten; vor
allem bei den zahlreichen Warum-Fragen: Warum muss ich in den Kindergarten?
Warum darf ich keine Gummistiefel anziehen? Warum, warum, warum. Das Sterben
ist jedoch nach wie vor ein Tabu-Thema und sehr herausfordernd, es einem
Dreijährigen zu erklären.
Letzte
Woche war er mit mir auf einem Begräbnis in meiner alten Heimat. Er setzte sich
in die Kirchenbank, als ich meinen Nachbarn einsegnete, wie es so schön heißt;
dann seinen Brüdern und seinem Vater mein Beileid bekundete. Wir hatten als
Kinder gemeinsam im Sand gewühlt, DKT gespielt, Lego gebaut und sind – genauso
wie meine Schwester und einer seiner Brüder – in den benachbarten Häusern ein-
und ausgegangen, hatten mal hier mal dort gejausnet oder Fußball gespielt.
Die Messe
verbrachten ich mit unserem Sohn vor der Kirche. Und auf dem Weg zum Friedhof
ermahnte der Dreijährige die Trauergemeinde in seinem unmittelbaren Umfeld:
„Wir dürfen nicht auf der Straße gehen.“ Als es dann an mir war, eine Schaufel
Erde auf das noch offene Grab und den hinuntergelassenen Sarg zu werfen, war er
längst auf den Schultern seines Opas auf dem Weg zum Feuerwehrhaus.
Martin ist
der Vierte innerhalb kurzer Zeit, den ich als Kind und Jugendliche gut kannte
und der an Krebs verstarb. Vage erinnere ich mich an die im Frühjahr 1986 in
den Zeitungen geschriebene Prognose, dass es in etwa 25 Jahren zu einem
Ansteigen der Krebsfälle kommen werde. Niemand von uns damals Jugendlichen hat
sich nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl sonderlich anders verhalten als
zuvor. Nach etwa zwei Wochen taten wir, als sei nichts gewesen. Wir haben
wieder Milch getrunken, Erdbeeren gegessen und sind mit dem Fahrrad über die
zahlreichen Feldwege und Schotterstraßen gefahren.
Radioaktivität
sieht, hört, riecht, fühlt und schmeckt man nicht. Viele draußen auf dem Land
beginnen einen Zusammenhang zu vermuten – zwischen Tschernobyl und der merklich gestiegenen Anzahl der
jungen Krebstoten. Auch ich finde es überzufällig, dass diese Todesfälle
merklich zugenommen haben. Beweise über einen Zusammenhang habe ich keine.
Vielleicht
war es eine „weise“ Entscheidung dem Leben im Waldviertel mit neunzehn den
Rücken zuzukehren. Vier Menschen aus meinem näheren Umfeld sind dort wohnen
geblieben. Hat genau das ihr Leben verkürzt?