27.03.15

25 Jahre Wien


Am 20. März 1990 wusste ich (noch) nicht, dass ich kam um zu bleiben. Meine Zeit als Bewohnerin von und Arbeitnehmerin in Wien trug damals ein internes Ablaufdatum. Ich war überzeugt, in zwei bis drei Jahren würde Wien Geschichte sein. Zwar träumte ich nicht von Mann, Haus, Kind und Hund (weder in dieser noch in einer anderen Reihenfolge), doch sah ich mich viele Jahre nicht als Wienerin, weder als werdende und schon gar nicht als seiende.

Ich pendelte jedes Wochenende. Trug meine Reisetasche mit der ungewaschenen Kleidung vom Bahnhof zum Hauptplatz in Horn. Wartete dort im Geschäft bzw. Büro meiner Familie auf die „Sperrstunde“ um 18 Uhr, um mit meinem Papa in meinen Heimatort zu fahren. Im Frühling/Sommer/Herbst stieg ich meist nach dem Abendessen an den Freitagen noch aufs Rad und fuhr eine große Runde; um frische Luft zu atmen, die Weite zu sehen und mich mehr oder weniger wieder zu erden. Sonntag Nachmittag begann die Wehmut, diesen Ort wieder zu verlassen und gegen eine winzige Ein-Zimmer-Wohnung in der Nähe des ehemaligen Südbahnhofs zu tauschen. Oft fuhr ich mit dem ersten Bus Montag Früh – was bedeutete, dass ich um etwa vier Uhr aufstehen musste – nach Horn und stieg dort in den Bus nach Wien-Mitte. Der damals sehr frequentierte Busbahnhof ist heute eine Einkaufsmall mit Anbindung zum Flughafen.

Ich zog das durch bis ins Jahr 1994. Damals hatte ich bereits meinen vierten Job und lebte in einer Haus-Wohngemeinschaft in Langenzersdorf; zusammen mit einer Deutschen, einem Türken, einer Polin und einem Banghalesen. Eine von ihnen fragte mich damals ganz offen, ob ich das Spiel ewig so weiterspielen wolle. Eigentlich nicht. Denn nichts war Fisch oder Fleisch. Weder die Zeit in Wien noch jene im Waldviertel. Die Freunde von draußen wurden mir von Monat zu Monat fremder. Und die neuen Freunde in Wien? Mit ihnen teilte ich nur die Alltagswoche, nicht jedoch die Freizeit. Und so kam es, dass sich ab Langenzersdorf die Abstände zwischen den Wochenenden verlängerten. Mein Dasein wurde klarer.

Wenn ich heute ab und zu mit meiner beruflichen Situation hadere, kommen mir Papas Worte ins Ohr: „Wärst du da geblieben, dann wärst du schon Prokuristin in der Volksbank.“ Ohne Zweifel. Und doch bin ich froh, dass ich mich für mein eher unstetes (Berufs)Leben in Wien entschieden habe. Auch wenn mir unser Sohn mittlerweile manchmal in den Ohren liegt: „Mama, wieso haben wir kein Haus?“ – Was ich dann nicht antworte: „Weil du das ziemlich sicher in nur wenigen Jahren bereuen würdest und dir mit spätestens fünfzehn die viel zitierte Decke auf den Kopf fallen wird.“

Und dennoch: Das letzte Wort zum Thema „Stadt-Land“ ist noch nicht gesprochen. Mein Mann und ich überlegen tatsächlich die Landflucht. Nicht, weil wir das Leben in Wien nicht schätzen. Aber bei dem ohnehin anstehenden Wohnortwechsel wollen wir keine halben Sachen mehr machen oder faule Kompromisse eingehen. Und manchmal träumen wir vom Selbstversorgen und Selbständigsein draußen in einem Häuschen am Land – gute Internetverbindung vorausgesetzt.

Ob ich am 20. März 2020 meine 30 Jahre Wien feiern werde? Schwer zu sagen. Die Chancen stehen 50:50. Wetten werden gern entgegengenommen.