Ich
erinnere mich noch an jenen Tag, als ich nach den verspielten vier Jahren
Volksschule erstmals die nach Plastikböden riechenden Gänge des Gymnasiums in
Horn durchschritt. Und auch an meine Verwunderung über den im braunen
Arbeitsmantel erscheinenden Deutschprofessor mit dicker Hornbrille und dunklen,
schon schütter werdenden Haaren. Er war nicht der einzige mit Arbeitskittel.
Unsere Mathematikprofessorin hatte einen in blau. Mich hatte diese Dienstkleidung
schon damals verwundert. Er wirkte auf mich wie ein Schutzmantel vor
aufmüpfigen Kindern und Teenagern, um die eigene Grenze und die Autorität zu schützen.
Besagter
Mann in braun erkor schon in den ersten Stunden seine Lieblinge in der 1A aus.
Ich gehörte nicht dazu, denn ich wusste ja nicht einmal, dass man die persönlichen
Fürwörter abwandeln konnte. Das hatte ich in meiner Waldviertler Volksschule
nicht gelernt. Und dass ihm das gar nicht gefiel, unterstrich er mit seinem
Lieblingssatz, der nur aus vier Worten bestand und sein Missfallen auf eine sehr
unpädagogische Art ausdrückte, die er mir mit ernstem Gesicht unter die Nase
rieb, während er die Note für die in seinen Augen wahrhaft schlechte
Wiederholung des Gelernten in sein Notizbuch schrieb. Ob er grammatikalisch als
Satz durchgeht, lasse ich jetzt mal dahingestellt. Er lautete: „Ziegelwanger,
setzen, nicht genügend.“
Womit uns der
Herr Professor immer wieder zu sich nach vorne an die Tafel lockte, waren die
korrekt auswendig zu lernenden Merksätze der deutschen Grammatik. Sie brachten
sowohl mich als auch einige MitschülerInnen vor der Deutschstunde regelmäßig ins
Schwitzen. Diese Merksätze hatten rot umrandet zu sein. Zum Glück, denn so fand
ich sie schneller im Schulübungsheft, um sie mir vor dem Unterrichtsstart
nochmals in Unruhe durchzulesen.
Man darf
meinem Professor zugute halten, dass wir nicht nur auf deutsche Grammatik
gedrillt wurden, sondern auch Gedichte von Goethe, Schiller und Rilke auswendig
lernen durften. Eines, an das ich mich immer erinnern und mit ihm und seinen
Namen verbinden werde ist Goethes Ballade „Der Zauberlehrling“:
Walle! walle
manche Strecke,
daß, zum Zwecke,
Wasser fließe
und mit reichem, vollem Schwalle
zu dem Bade sich ergieße.
Warum? Mein
Deutschprofessor hieß Walla im Nachnamen. Und dieser Auszug aus dem Gedicht
diente meinen MitschülerInnen und mir als Erkennungszeichen, wenn er sich der
Klasse näherte.
Als ich in
diesen ersten Jahren sämtliche meiner Schwächen in der deutschen Grammatik
aufgrund der kalten Angstschweiß in den Händen auslösenden
Stundenwiederholungen ausmerzte, war es danach der Ausdruck, der ihn meine
Schularbeiten seitenweise rot unterwellen und ihn maximal ein Befriedigend
unter meine Texte kritzeln ließ.
Derart
geprägt ließ ich Literatur und Bücher lange Zeit links liegen. Für die Matura
in der Handelsakademie hatte ich zwar eine Leseliste abgegeben, doch maximal
die Zusammenfassungen einmal überflogen. Was bei einer schriftlichen
Deutschmatura zu einem Wirtschaftsthema nichts zur Sache tat. Zum Glück.
Ist Kritik
und Angst das geeignete Mittel, um das Beste aus seinen SchülerInnen
herauszuholen? Ich wage es zu bezweifeln. Mehr als dreißig Jahre später bin ich
über den Schatten seines Arbeitsmantels gesprungen und habe erstmals an einem
Literaturwettbewerb teilgenommen. Natürlich ist das Abgeben eines Textes allein
kein Beweis für inhaltliche Brillanz und stilistische Reife.
Und doch
ist es ein wenig, als hätte ich ein Korsett abgestreift, das anzulegen
keinesfalls aus freiem Willen geschah, sondern ein Erwachsener mir übergestülpt
hatte. Und da war und bin ich bis heute kein Einzelfall. Letztendlich können
solch prophetische Urteile über junge Menschen fatale Folgen haben: Die einen
beugen sich dem Urteil, die anderen treten den oft sehr schwierigen Gegenbeweis
an.
Es geht mir
nicht um eine Abrechnung mit meinem ersten Deutschprofessor, auch wenn ich mich
in den letzten zehn Jahren immer wieder mit meiner Schreibgeschichte
auseinandergesetzt habe. Das
einzige, was heute für mich zählt: Mir macht das Schreiben mehr und mehr Spaß. Und vor allem war es mir eine Freude, an besagter
Kurzgeschichte zu arbeiten, die ich wirklich zu einem Zweck und nicht für die
Schublade geschrieben habe; wie einige andere seit 2010, die dort hoffentlich
nicht verstauben sondern nur auf das Überarbeiten warten.