07.05.16

Deutsche Sprache - schwere Sprache

Ich erinnere mich noch an jenen Tag, als ich nach den verspielten vier Jahren Volksschule erstmals die nach Plastikböden riechenden Gänge des Gymnasiums in Horn durchschritt. Und auch an meine Verwunderung über den im braunen Arbeitsmantel erscheinenden Deutschprofessor mit dicker Hornbrille und dunklen, schon schütter werdenden Haaren. Er war nicht der einzige mit Arbeitskittel. Unsere Mathematikprofessorin hatte einen in blau. Mich hatte diese Dienstkleidung schon damals verwundert. Er wirkte auf mich wie ein Schutzmantel vor aufmüpfigen Kindern und Teenagern, um die eigene Grenze und die Autorität zu schützen.

Besagter Mann in braun erkor schon in den ersten Stunden seine Lieblinge in der 1A aus. Ich gehörte nicht dazu, denn ich wusste ja nicht einmal, dass man die persönlichen Fürwörter abwandeln konnte. Das hatte ich in meiner Waldviertler Volksschule nicht gelernt. Und dass ihm das gar nicht gefiel, unterstrich er mit seinem Lieblingssatz, der nur aus vier Worten bestand und sein Missfallen auf eine sehr unpädagogische Art ausdrückte, die er mir mit ernstem Gesicht unter die Nase rieb, während er die Note für die in seinen Augen wahrhaft schlechte Wiederholung des Gelernten in sein Notizbuch schrieb. Ob er grammatikalisch als Satz durchgeht, lasse ich jetzt mal dahingestellt. Er lautete: „Ziegelwanger, setzen, nicht genügend.“

Womit uns der Herr Professor immer wieder zu sich nach vorne an die Tafel lockte, waren die korrekt auswendig zu lernenden Merksätze der deutschen Grammatik. Sie brachten sowohl mich als auch einige MitschülerInnen vor der Deutschstunde regelmäßig ins Schwitzen. Diese Merksätze hatten rot umrandet zu sein. Zum Glück, denn so fand ich sie schneller im Schulübungsheft, um sie mir vor dem Unterrichtsstart nochmals in Unruhe durchzulesen.

Man darf meinem Professor zugute halten, dass wir nicht nur auf deutsche Grammatik gedrillt wurden, sondern auch Gedichte von Goethe, Schiller und Rilke auswendig lernen durften. Eines, an das ich mich immer erinnern und mit ihm und seinen Namen verbinden werde ist Goethes Ballade „Der Zauberlehrling“:

Walle! walle
manche Strecke,
daß, zum Zwecke,
Wasser fließe
und mit reichem, vollem Schwalle
zu dem Bade sich ergieße.

Warum? Mein Deutschprofessor hieß Walla im Nachnamen. Und dieser Auszug aus dem Gedicht diente meinen MitschülerInnen und mir als Erkennungszeichen, wenn er sich der Klasse näherte.

Als ich in diesen ersten Jahren sämtliche meiner Schwächen in der deutschen Grammatik aufgrund der kalten Angstschweiß in den Händen auslösenden Stundenwiederholungen ausmerzte, war es danach der Ausdruck, der ihn meine Schularbeiten seitenweise rot unterwellen und ihn maximal ein Befriedigend unter meine Texte kritzeln ließ.

Derart geprägt ließ ich Literatur und Bücher lange Zeit links liegen. Für die Matura in der Handelsakademie hatte ich zwar eine Leseliste abgegeben, doch maximal die Zusammenfassungen einmal überflogen. Was bei einer schriftlichen Deutschmatura zu einem Wirtschaftsthema nichts zur Sache tat. Zum Glück.

Ist Kritik und Angst das geeignete Mittel, um das Beste aus seinen SchülerInnen herauszuholen? Ich wage es zu bezweifeln. Mehr als dreißig Jahre später bin ich über den Schatten seines Arbeitsmantels gesprungen und habe erstmals an einem Literaturwettbewerb teilgenommen. Natürlich ist das Abgeben eines Textes allein kein Beweis für inhaltliche Brillanz und stilistische Reife.

Und doch ist es ein wenig, als hätte ich ein Korsett abgestreift, das anzulegen keinesfalls aus freiem Willen geschah, sondern ein Erwachsener mir übergestülpt hatte. Und da war und bin ich bis heute kein Einzelfall. Letztendlich können solch prophetische Urteile über junge Menschen fatale Folgen haben: Die einen beugen sich dem Urteil, die anderen treten den oft sehr schwierigen Gegenbeweis an.

Es geht mir nicht um eine Abrechnung mit meinem ersten Deutschprofessor, auch wenn ich mich in den letzten zehn Jahren immer wieder mit meiner Schreibgeschichte auseinandergesetzt habe.  Das einzige, was heute für mich zählt: Mir macht das Schreiben mehr und mehr Spaß. Und vor allem war es mir eine Freude, an besagter Kurzgeschichte zu arbeiten, die ich wirklich zu einem Zweck und nicht für die Schublade geschrieben habe; wie einige andere seit 2010, die dort hoffentlich nicht verstauben sondern nur auf das Überarbeiten warten.