Sonntage im
Waldviertel unterscheiden sich von Sonntagen in Wien vor allem durch den
regelmäßigen Gang zur Kirche. Wenn ich dieser Tage – vor allem an einem Sonntag
– in Wien auf meiner Yogamatte
liege und meinen Körper nach einer vollbrachten Yogaeinheit in Shavasana (Entspannungslage
/ Totenstellung) ausruhen lasse, höre ich oft die Glocken der Rochuskirche.
Die Kirche
ist etwa 500 Meter von unserer Wohnung entfernt. Je nachdem aus welcher
Richtung der Wind weht, höre ich die Glocken mal lauter und mal leiser. In Shavasana
funktioniert das besonders gut, weil es sonst keine Geräusche um mich gibt und
ich auch nicht durch irgendein Tun vom Hören abgelenkt bin.
Diese
Glocken klingen haargenau wie jene der Kirche in meiner Heimatgemeinde im
Waldviertel. Sobald sie läuten, werde ich manchmal nicht nur vom Ort weg-
sondern auch in der Zeit zurück gebeamt. Und ich höre die Nachbarsbuben oder
andere DorfbewohnerInnen, die „eingeborener“ als ich und meine Familie waren,
das dafür typische Waldviertler Wort sagen: „Zoacha“ (Zeichen). Lange verstand
ich nur „d’Soacha“ und frage mich, welche Sache oder Seuche die Kirche mit dem
Läuten der Glocken so vehement untermauern wollte. 15 Minuten vor Beginn der
Messe wurden die DorfbewohnerInnen jedenfalls lautstark gemahnt, sich rechtzeitig
in den Kirchenbänken einzufinden. Links die Frauen, rechts die Männer. Eine
Durchmischung war in den 1970er-80er-Jahren noch eher selten. Die älteren
Frauen trugen bunte Kopftücher und waren dadurch auch von hinten erkennbar;
jede hatte ein anderes und trug sonntags meist das gleiche.
Und die
Glocken der Rochuskirche bringen mich sonntags auch hin und wieder zurück an
den Tisch meiner Oma, wo wir vor dem sonntäglichen Kirchgang unser Frühstück
aßen. Eine Schiebetür verbindet die Häuser meiner Eltern und Großeltern noch
heute. Damals saßen wir meist zu fünft am Tisch: meine Großeltern, meine
Schwester, mein Bruder und ich. Es gab meist selbst gemachten Guglhupf oder
einen Kakaokuchen. Letzteren bestrich ich zusätzlich und gern mit Omas selbst
gemachter Marillenmarmelade – eine ohne Bröckerl und Hautstücke. Zum
obligatorischen Sonntagskuchen kredenzte sie Kaffee, ihren „Blümchenkaffee“
– bestehend aus Bohnenkaffee und
Feigen- oder Getreidekaffee. Gut verträglich schon für Schulkinder und immer
noch schmackhaft für schon fast erwachsene Kinder. Das gekochte Wasser tropfte
in aller Gemütlichkeit durch den mit Kaffee gefüllten Filter – wahrscheinlich
meine erste Erfahrung in Meditation und Kontemplation.
Diese
Sonntagstradition behielten meine Geschwister und ich noch bei, als wir schon
in jenem Alter waren, wo die Disco als Samstag-Abend-Gestaltung wichtig wurde.
Zu Hause hieß es in jener Zeit stets: „Wenn
du am Samstag Abend fortgehen kannst, dann kannst du am Sonntag auch in die
Kirche gehen.“ So sprach der Papa. Und wir widersprachen kein einziges Mal.
Die Sonntagsmesse begann zum Glück erst um viertel zehn; das war auch für
weggehende Jugendliche eine verträgliche Zeit. Das „Zoacha“ ertönte um neun. Um
viertel zehn saß ich gemeinsam mit meiner Schwester und anderen Mädchen in
unserem Alter in der zweiten Reihe links.
Manchmal
zieht es mich in die Rochuskirche. Nie jedoch zu Messezeiten, sondern immer
dann, wenn es nötig ist, eine Kerze anzuzünden. In den letzten Jahren tat ich
das recht häufig, um der verstorbenen Jugendfreunde von früher zu gedenken. Wenn
ich dann in der Rochuskirche rechts bei den flackernden Kerzen sitze, ist es
wie das Eintauchen in eine andere ehemals vertraute Welt. Auch dort werde ich
oft in Ort und Zeit weggebeamt: in die Kirche in Neupölla in die zweite
Bankreihe links. Unsere Pole-Position, um die Lesung und Fürbitten zu lesen.
Eine Aufgabe, die wir uns selbst ausgesucht hatten, um die Zeit in der Messe
etwas spannender zu gestalten, als nur zu sitzen und zu „warten“.