Ende August
1989 bestieg ich in London ein Flugzeug und begab mich auf den Weg nach New
York. Mein Traum wurde wahr. Ich durfte endlich einen Fuß in das Land der
unbegrenzten Möglichkeiten setzen. Als Kind kannte ich die mehrere Millionen
Einwohner zählende Stadt nur von einem Bild auf den Quartett-Karten mit den
Hauptstädten der Welt. New York lag dort immer im Wettstreit mit Tokio um meine
Gunst. Dass ich mich letztendlich für New York entschied, lag wohl auch daran,
dass meine Eltern 1987 Fotos von ihrem USA-Trip nach Hause brachten,
der sie natürlich auch nach New York brachte.
Ich
erinnere mich noch gut an den Namen des Hotels, in dem ich vorerst abstieg:
Omni Park Central. Weniger jedoch daran, im wievielten Stock ich gemeinsam mit
einem künftigen Au Pair aus Irland und einer aus Deutschland für mehrere Tage
ein Zimmer teilte. Wir drei durften uns mit vielen anderen jungen aus Europa
kommenden Menschen einer Schulung des „American way of life“ unterziehen – mit
besonderem Augenmerk auf den Umgang mit und die Erziehung von jungen
Amerikanerinnen und Amerikanern.
Frühstück
war im Preis des Au Pair-Programms nicht inbegriffen. Das mussten wir uns
außerhalb des Hotels selbst besorgen. Als im Waldviertel Aufgewachsene war
meine größte regelmäßig besuchte Stadt St. Pölten. Wien hatte ich ein paar Mal
nur kurz gestreift – das Donauzentrum zum Einkaufen und ein Musical-Besuch. Als
ich also den ersten morgendlichen Schritt vor das Hotel-Portal setzte, prägte
ich mir jeden Schritt und jede Auslagenscheibe oder Hausfront auf dem Weg zu
dem als Frühstückslokal empfohlenen Mc Donald’s ein, um den Weg zurück ganz
sicher wieder zu finden. Ist ja auch sehr kompliziert bei diesen in rechten
Winkeln angeordneten Streets und Avenues. Die weitaus größere Herausforderung
war, etwas „Anständiges“ zu essen zu finden. Ich ließ das von vielen geliebte
Fastfood-Lokal damals links liegen und fand eine Art Greißler, der mir mehr
zusagte.
Von diesen
ersten Tagen in New York blieben mir vor allem die nächtlichen Ausflüge mit den
anderen Jugendlichen aus Deutschland, Irland, Schweden, Niederlande, Spanien
usw. in Erinnerung: zum Empire State Building, mit der Staten Island Ferry
vorbei an der Freiheitsstatue und auf den Broadway, um Cats zu sehen. Ins World
Trade Center kam ich erst bei meiner zweiten USA-Reise.
Denn drei
Jahre später kehrte ich in die Vereinigten Staaten zurück. Mit dem Amtrak-Ticket –
vergleichbar dem Interrail in Europa – genossen meine Schwester und ich die
dort grenzenlose Freiheit. Die Schienen brachten uns von Philadelphia nach
Chicago, Denver, Flagstaff, Winterpark, San Francisco, Los Angeles, San Diego
und New Orleans. In Houston hätten wir laut unserer Sitzplatzreservierung ebenfalls
aussteigen sollen. Ein Blick in unseren Reiseführer ließ uns den Plan
kurzfristig ändern. Zum Glück war auch der Zugbegleiter so flexibel und half
uns, die Reservierung zu ändern – und wir fuhren von San Diego bis New Orleans
durch.
Wir waren
sehr sparsam unterwegs. Auch in der Nacht begnügten wir uns mit einem Sitzplatz
und hatten keinen Liegeplatz gebucht. Essen kauften wir immer unterwegs und
selten im Zug. In der zugeigenen Cafeteria gönnten wir uns maximal Kaffee oder
Orangensaft. Den trugen wir zum Panorama-Waggon, der auf manchen Streckenabschnitten
zur Zuggarnitur gehörte. Dieser Waggon hatten extra große Fenster, die fast bis
zum Boden reichten und es gab mehrere lehnstuhlartige Sitze, die man in mehrere
Richtungen drehen konnte. So war der Blick auf atemberaubende Landschaften frei
für die alles aufsaugenden Blicke zweier junger Europäerinnen.
Wir waren
damals nicht die einzigen Reisenden. In manchen Jugendherbergen wurden wir
schon begrüßt mit: „He, ihr seid ja die zwei Österreicherinnen, die immer
laufen gehen.“ Die uns bekannte Welt war sicher und verbunden. Irgendwie
schaute man auf einander. Die Ängste der Taxifahrerin in New Orleans konnte ich
nur bedingt nachvollziehen: „Wenn ihr meine Töchter wäret, würde ich euch nicht
so mutterseelenallein hier in der Nacht herumgehen lassen.“ Zum Glück haben wir
ihr verschwiegen, dass wir uns kurz vorher in einem „No Go-Viertel“ laut
Reiseplaner verirrt hatten. Allerdings war New Orleans die einzige Stadt, in
der wir uns zwei Mal ein Taxi gönnten. Als wir mit dem ersten vom Bahnhof
losfuhren, wussten wir noch nicht, dass wenige Minuten früher vor der Tür
unserer Jugendherberge tödliche Schüsse gefallen waren. Als junge Erwachsene
fühlst du dich unsterblich – irgendwie.
Von New
Orleans fuhren wir ohne weiteren Zwischenstopp zurück nach Philadelphia. Dieses
eine Monat unterwegs quer durch Amerika ließ uns wohl ein wenig „hilfsbedürftig“
aussehen. Wie sonst ließe sich erklären, dass ein amerikanisches Ehepaar darauf
bestand, uns ein Abendessen im Speisewagen zu zahlen. Vielleicht war es aber
auch einfach nur Interesse, mit zwei Österreicherinnen zu plaudern. Denn eines
hatte ich bemerkt, die meisten Menschen, mit denen ich bei meinen zwei
Ausflügen über den Atlantik zu reden kam, hatten die USA nie verlassen.
Es war mir
egal, wer damals als Präsident an der Spitze der Vereinigten Staaten stand.
Zwar herrschte noch der Kalte Krieg, doch war die Weltlage halbwegs stabil im
so genannten Gleichgewicht des Schreckens. Ich habe oft mit dem Gedanken
gespielt, einmal wieder hinüberzufliegen. Mir endlich die noch auf meiner Liste
fehlenden Orte anzusehen: die Everglades in Florida, Cape Canaveral usw. Das
scheint mir in den nächsten vier Jahren unmöglich zu sein. Es sei denn, es
geschieht ein kleines Wunder, das den USA einen neuen progressiveren
Präsidenten beschert und der Welt ermöglicht, wieder aufzuatmen und nicht in
Schockstarre oder Schlimmerem zu versinken.