04.02.17

Meine USA

Ende August 1989 bestieg ich in London ein Flugzeug und begab mich auf den Weg nach New York. Mein Traum wurde wahr. Ich durfte endlich einen Fuß in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten setzen. Als Kind kannte ich die mehrere Millionen Einwohner zählende Stadt nur von einem Bild auf den Quartett-Karten mit den Hauptstädten der Welt. New York lag dort immer im Wettstreit mit Tokio um meine Gunst. Dass ich mich letztendlich für New York entschied, lag wohl auch daran, dass meine Eltern 1987 Fotos von ihrem USA-Trip nach Hause brachten, der sie natürlich auch nach New York brachte.

Ich erinnere mich noch gut an den Namen des Hotels, in dem ich vorerst abstieg: Omni Park Central. Weniger jedoch daran, im wievielten Stock ich gemeinsam mit einem künftigen Au Pair aus Irland und einer aus Deutschland für mehrere Tage ein Zimmer teilte. Wir drei durften uns mit vielen anderen jungen aus Europa kommenden Menschen einer Schulung des „American way of life“ unterziehen – mit besonderem Augenmerk auf den Umgang mit und die Erziehung von jungen Amerikanerinnen und Amerikanern.

Frühstück war im Preis des Au Pair-Programms nicht inbegriffen. Das mussten wir uns außerhalb des Hotels selbst besorgen. Als im Waldviertel Aufgewachsene war meine größte regelmäßig besuchte Stadt St. Pölten. Wien hatte ich ein paar Mal nur kurz gestreift – das Donauzentrum zum Einkaufen und ein Musical-Besuch. Als ich also den ersten morgendlichen Schritt vor das Hotel-Portal setzte, prägte ich mir jeden Schritt und jede Auslagenscheibe oder Hausfront auf dem Weg zu dem als Frühstückslokal empfohlenen Mc Donald’s ein, um den Weg zurück ganz sicher wieder zu finden. Ist ja auch sehr kompliziert bei diesen in rechten Winkeln angeordneten Streets und Avenues. Die weitaus größere Herausforderung war, etwas „Anständiges“ zu essen zu finden. Ich ließ das von vielen geliebte Fastfood-Lokal damals links liegen und fand eine Art Greißler, der mir mehr zusagte.

Von diesen ersten Tagen in New York blieben mir vor allem die nächtlichen Ausflüge mit den anderen Jugendlichen aus Deutschland, Irland, Schweden, Niederlande, Spanien usw. in Erinnerung: zum Empire State Building, mit der Staten Island Ferry vorbei an der Freiheitsstatue und auf den Broadway, um Cats zu sehen. Ins World Trade Center kam ich erst bei meiner zweiten USA-Reise.

Denn drei Jahre später kehrte ich in die Vereinigten Staaten zurück. Mit dem Amtrak-Ticket – vergleichbar dem Interrail in Europa – genossen meine Schwester und ich die dort grenzenlose Freiheit. Die Schienen brachten uns von Philadelphia nach Chicago, Denver, Flagstaff, Winterpark, San Francisco, Los Angeles, San Diego und New Orleans. In Houston hätten wir laut unserer Sitzplatzreservierung ebenfalls aussteigen sollen. Ein Blick in unseren Reiseführer ließ uns den Plan kurzfristig ändern. Zum Glück war auch der Zugbegleiter so flexibel und half uns, die Reservierung zu ändern – und wir fuhren von San Diego bis New Orleans durch.

Wir waren sehr sparsam unterwegs. Auch in der Nacht begnügten wir uns mit einem Sitzplatz und hatten keinen Liegeplatz gebucht. Essen kauften wir immer unterwegs und selten im Zug. In der zugeigenen Cafeteria gönnten wir uns maximal Kaffee oder Orangensaft. Den trugen wir zum Panorama-Waggon, der auf manchen Streckenabschnitten zur Zuggarnitur gehörte. Dieser Waggon hatten extra große Fenster, die fast bis zum Boden reichten und es gab mehrere lehnstuhlartige Sitze, die man in mehrere Richtungen drehen konnte. So war der Blick auf atemberaubende Landschaften frei für die alles aufsaugenden Blicke zweier junger Europäerinnen.

Wir waren damals nicht die einzigen Reisenden. In manchen Jugendherbergen wurden wir schon begrüßt mit: „He, ihr seid ja die zwei Österreicherinnen, die immer laufen gehen.“ Die uns bekannte Welt war sicher und verbunden. Irgendwie schaute man auf einander. Die Ängste der Taxifahrerin in New Orleans konnte ich nur bedingt nachvollziehen: „Wenn ihr meine Töchter wäret, würde ich euch nicht so mutterseelenallein hier in der Nacht herumgehen lassen.“ Zum Glück haben wir ihr verschwiegen, dass wir uns kurz vorher in einem „No Go-Viertel“ laut Reiseplaner verirrt hatten. Allerdings war New Orleans die einzige Stadt, in der wir uns zwei Mal ein Taxi gönnten. Als wir mit dem ersten vom Bahnhof losfuhren, wussten wir noch nicht, dass wenige Minuten früher vor der Tür unserer Jugendherberge tödliche Schüsse gefallen waren. Als junge Erwachsene fühlst du dich unsterblich – irgendwie.

Von New Orleans fuhren wir ohne weiteren Zwischenstopp zurück nach Philadelphia. Dieses eine Monat unterwegs quer durch Amerika ließ uns wohl ein wenig „hilfsbedürftig“ aussehen. Wie sonst ließe sich erklären, dass ein amerikanisches Ehepaar darauf bestand, uns ein Abendessen im Speisewagen zu zahlen. Vielleicht war es aber auch einfach nur Interesse, mit zwei Österreicherinnen zu plaudern. Denn eines hatte ich bemerkt, die meisten Menschen, mit denen ich bei meinen zwei Ausflügen über den Atlantik zu reden kam, hatten die USA nie verlassen.

Es war mir egal, wer damals als Präsident an der Spitze der Vereinigten Staaten stand. Zwar herrschte noch der Kalte Krieg, doch war die Weltlage halbwegs stabil im so genannten Gleichgewicht des Schreckens. Ich habe oft mit dem Gedanken gespielt, einmal wieder hinüberzufliegen. Mir endlich die noch auf meiner Liste fehlenden Orte anzusehen: die Everglades in Florida, Cape Canaveral usw. Das scheint mir in den nächsten vier Jahren unmöglich zu sein. Es sei denn, es geschieht ein kleines Wunder, das den USA einen neuen progressiveren Präsidenten beschert und der Welt ermöglicht, wieder aufzuatmen und nicht in Schockstarre oder Schlimmerem zu versinken.