Früher war
alles anders. Kleiner, überschaubarer. Dadurch etwas klarer; wie etwa die
landwirtschaftlichen Strukturen in meiner Heimatgemeinde. Dabei ist das
Waldviertel auch heute noch weit entfernt von Ackerflächen in einer Größe, wie
sie in den USA üblich sind. Die hatte ich als Au Pair jedoch nie gesehen, denn
rund um Salem in New Hampshire gab es keine Getreidefelder.
Im
Waldviertel wuchs ich zwar auf keinem Bauernhof auf, doch verbrachte ich viele
Stunden und somit in Summe Tage und Wochen bei zwei Familien, deren Kinder in
meinem Alter waren. Und als zwei Schwestern des einen Hofes während der
Sommerferien für kurze Zeit ihren Dienst im Milchhaus taten, war ich mit dabei.
Es war Anfang der 1980er-Jahre. Auf Ö3 liefen „Sweet Dreams“ und „Let’s dance“.
Die Lieder hatte ich im Ohr, wenn ich die jungen Burschen aus den anderen Höfen
die Milch abwiegen ließ, bevor sie in die große Wanne geleert werden durfte. Es
gab eine Liste, in die wir die Milchmenge pro Landwirtschaft eintragen mussten.
Mehr als 20 bis maximal 30 Liter brachte keiner von ihnen vorbei. Das ist
weniger als eine der zu Recht negativ in die Schlagzeilen gekommenen auf
Milchleistung getrimmte „Turbokuh“ in ihrem Euter hat.
Ich habe
noch heute den Geruch der Milch eines Landwirts in der Nase, die anders roch
als die anderen: erdiger, nach Silage und dem Mist im Kuhstall. Sie kam genauso
in die Wanne wie jede andere Milch. Der Milchwagen holte jeden Morgen die Milch
des Vorabends und des neuen Tages in die Horner Molkerei. Heute ist jener
Landwirt der einzige, der noch Kühe im Stall hat. In ausreichender Menge, denn
er Lastwagen der Molkerei fährt nur für ihn in mein ehemaliges Heimatdorf.
Als ich
noch bei meinen Eltern wohnte, war ich natürlicherweise Stammkundin der NÖM
(Niederösterreich Milch). Über das Weltgeschehen informierte mich der Kurier.
Die Milch gab es nur in braunen Flaschen zu je einem Liter. Schlagobers
verkaufte der A&O-Markt nur
bei rechtzeitiger Vorbestellung, genauso wie den zweiten Liter Milch am
Wochenende. Joghurt kannte nur zwei Fruchtsorten: Erdbeere und Heidelbeere.
Dass man aus Sojabohnen „Milch“ machen konnte, lag jenseits meiner
Vorstellungskraft.
Nie
vergessen werde ich jenen ersten Schluck Milch als ich aus New Hampshire
zurückkam. Fett und gehaltvoll. In den USA war die Milch damals schon in
gallonengroßen Plastikgebinden, die aussahen wie eine Weichspülerverpackung.
Entrahmt, entfettet und auf den Zustand von weiß gefärbtem Wasser gebracht.
Geschmacklos wie auch das Brot, das diesen Namen ohnehin nicht verdient hatte.
So klein
und überschaubar ist auch hier bei uns die Landwirtschaft nur noch in den
wenigsten Fällen geblieben. Zu groß der Druck, um noch Abnehmer zu finden und
in ausreichenden Mengen zu produzieren, um etwas mit den landwirtschaftlichen
Produkten zu verdienen.
Alles wohl
ein Grund, warum in Wien die Food-Coops wie Schwammerl aus dem Boden wachsen.
Wo ist mein Gemüse gewachsen? Woher kommt die Milch für meinen Sauerrahm? Es
ist angenehmer für Individuen wie uns, einen Bezug zu haben, als in der Masse
unterzugehen. Und zu wissen, dass mit dem Kauf der Milch nicht noch eine
unglückliche Kuh mit Silofutter im Stall unter hunderten ihresgleichen ihr
Dasein fristet.
Ob ich mit
dem Gedanken spiele, mir eine eigene Kuh zu halten – Haus mit ausreichend
Grünfläche rundum vorausgesetzt? Nicht wirklich, wenn ich mich an meine
kläglichen Versuche bei der Niederösterreichischen Landjugend erinnere, Milch
aus dem für Übungszwecke künstlichen Euter zu quetschen.