07.02.16

Fette Milch


Früher war alles anders. Kleiner, überschaubarer. Dadurch etwas klarer; wie etwa die landwirtschaftlichen Strukturen in meiner Heimatgemeinde. Dabei ist das Waldviertel auch heute noch weit entfernt von Ackerflächen in einer Größe, wie sie in den USA üblich sind. Die hatte ich als Au Pair jedoch nie gesehen, denn rund um Salem in New Hampshire gab es keine Getreidefelder.

Im Waldviertel wuchs ich zwar auf keinem Bauernhof auf, doch verbrachte ich viele Stunden und somit in Summe Tage und Wochen bei zwei Familien, deren Kinder in meinem Alter waren. Und als zwei Schwestern des einen Hofes während der Sommerferien für kurze Zeit ihren Dienst im Milchhaus taten, war ich mit dabei. Es war Anfang der 1980er-Jahre. Auf Ö3 liefen „Sweet Dreams“ und „Let’s dance“. Die Lieder hatte ich im Ohr, wenn ich die jungen Burschen aus den anderen Höfen die Milch abwiegen ließ, bevor sie in die große Wanne geleert werden durfte. Es gab eine Liste, in die wir die Milchmenge pro Landwirtschaft eintragen mussten. Mehr als 20 bis maximal 30 Liter brachte keiner von ihnen vorbei. Das ist weniger als eine der zu Recht negativ in die Schlagzeilen gekommenen auf Milchleistung getrimmte „Turbokuh“ in ihrem Euter hat.

Ich habe noch heute den Geruch der Milch eines Landwirts in der Nase, die anders roch als die anderen: erdiger, nach Silage und dem Mist im Kuhstall. Sie kam genauso in die Wanne wie jede andere Milch. Der Milchwagen holte jeden Morgen die Milch des Vorabends und des neuen Tages in die Horner Molkerei. Heute ist jener Landwirt der einzige, der noch Kühe im Stall hat. In ausreichender Menge, denn er Lastwagen der Molkerei fährt nur für ihn in mein ehemaliges Heimatdorf.

Als ich noch bei meinen Eltern wohnte, war ich natürlicherweise Stammkundin der NÖM (Niederösterreich Milch). Über das Weltgeschehen informierte mich der Kurier. Die Milch gab es nur in braunen Flaschen zu je einem Liter. Schlagobers verkaufte der A&O-Markt  nur bei rechtzeitiger Vorbestellung, genauso wie den zweiten Liter Milch am Wochenende. Joghurt kannte nur zwei Fruchtsorten: Erdbeere und Heidelbeere. Dass man aus Sojabohnen „Milch“ machen konnte, lag jenseits meiner Vorstellungskraft.

Nie vergessen werde ich jenen ersten Schluck Milch als ich aus New Hampshire zurückkam. Fett und gehaltvoll. In den USA war die Milch damals schon in gallonengroßen Plastikgebinden, die aussahen wie eine Weichspülerverpackung. Entrahmt, entfettet und auf den Zustand von weiß gefärbtem Wasser gebracht. Geschmacklos wie auch das Brot, das diesen Namen ohnehin nicht verdient hatte.

So klein und überschaubar ist auch hier bei uns die Landwirtschaft nur noch in den wenigsten Fällen geblieben. Zu groß der Druck, um noch Abnehmer zu finden und in ausreichenden Mengen zu produzieren, um etwas mit den landwirtschaftlichen Produkten zu verdienen.

Alles wohl ein Grund, warum in Wien die Food-Coops wie Schwammerl aus dem Boden wachsen. Wo ist mein Gemüse gewachsen? Woher kommt die Milch für meinen Sauerrahm? Es ist angenehmer für Individuen wie uns, einen Bezug zu haben, als in der Masse unterzugehen. Und zu wissen, dass mit dem Kauf der Milch nicht noch eine unglückliche Kuh mit Silofutter im Stall unter hunderten ihresgleichen ihr Dasein fristet.

Ob ich mit dem Gedanken spiele, mir eine eigene Kuh zu halten – Haus mit ausreichend Grünfläche rundum vorausgesetzt? Nicht wirklich, wenn ich mich an meine kläglichen Versuche bei der Niederösterreichischen Landjugend erinnere, Milch aus dem für Übungszwecke künstlichen Euter zu quetschen.