22.08.14

Sommer


Oder: Was es heißt, in einer Waldviertler Unternehmerfamilie aufzuwachsen

Dreizehn Jahre ging ich zur Schule. Dreizehn Mal hatte ich Sommerferien. Dreizehn Mal zwei Monate der Muße und des Nichtstuns. Oder: Man wächst in einem Familienbetrieb auf – ein Unternehmen, in dem alle mitarbeiten: Oma, Opa, Mama, Papa, Onkel, Tante. Ich bin die Älteste in der dritten Generation und durfte oftmals als Vorbild (vor allem für meine zwei Jahre jüngere Schwester und meinen fünf Jahre jüngeren Bruder) herhalten. Der Nachzügler und vierte in der Geschwisterrunde war damals noch nicht geboren.

Alle drei Tage war einer von uns an der Reihe. Morgens um halb acht ertönte der Weckruf: „Marion – Geschäftsdienst.“ Das hieß: Telefon abheben und Auskunft erteilen, wo der Elektromeister bzw. dessen Arbeiter zu erreichen seien; damals nicht am Mobiltelefon sondern am Festnetz in der Horner Zweigstelle.  
Das hieß weiters: Nach dem Klingeln der Glocke ins Geschäft im Erdgeschoß zu laufen und Sicherungen mit 16 Ampere oder Batterien AAA oder Osram-Glühbirnen matt mit 30 Watt aus der jeweiligen Lade zu fischen, einen Lieferschein zu schreiben und die Ware an mir meist bekannte Herrschaften aus dem Dorf oder dem näheren Umkreis auszuhändigen. Es gab unter den Besuchern (es waren stets Männer) auch Experten, die sich selbst im Magazin zurechtfanden und sich die Schuko-Steckdosen mit dem notwendigen Zubehör selbst suchten und dann sogar erklärten, welche Spezialbezeichnung auf den Lieferschein müsse.

Das waren meine typischen Sommervormittage. Besonders lästig war es, wenn an der spannendsten Stelle des Vormittagsfilms auf FS Eins (meist die Wiederholung des Hauptabendprogramms vom Vortag) das Telefon läutete. Hätte ich damals gewusst, wie man flucht, hätte ich sämtliche Verwünschungen halblaut vor mir hermurmelnd den Telefonhörer ergriffen. So aber sagte ich: „Elektro Ziegelwanger, grüß Gott“ und hörte mir an, was an der anderen Seite der Leitung gesprochen wurde. Meist endete das kurze Gespräch mit: „Rufen Sie bitte in Horn unter der Nummer sowieso an.“

Diese wenig persönliche Freiheit zulassenden Ferienvormittage endeten frühestens um zwei Uhr. Denn das war nicht unsere einzige Pflicht. Sowohl meine Schwester als auch ich durften die vier Wände erst verlassen, wenn alle gegessen hatten und die Küche wieder sauber war.

Wahrscheinlich genoss ich gerade deshalb die letzten vier Sommer (2010-2014) rund um meine Kinderpause so sehr. Zwar konnte ich in keinem dieser Sommer in den Tag hinein leben. Doch hatte ich viele Freiheiten, von denen Gleichaltrige meist nur träumen können. Fühle ich mich nach diesem Sommer stark und erholt genug, um einen neuen Schritt zu wagen? Der Weg in die Selbständigkeit ist kein leichter und will gut überlegt sein. Wissend, dass das Unternehmer-Sein meiner Eltern meine Kindheitstage entscheidend geprägt hat.

08.08.14

Skylab


Wir schreiben das Jahr 1979. Ich führte damals weder Tagebuch noch Logbuch, war science-fiction-interessiert und trug den Berufswunsch Astronautin stillschweigend in mir. Doch dann kam Skylab. Und mit dieser desolaten US-amerikanischen Weltraumstation die erste Mediengeschichte, die mein Leben bzw. mein Denken und Fühlen stark beeinflusste.

Damals, im zarten Alter von neun Jahren, konnte ich schon lesen und schreiben. Und zu jener Zeit war im Haus meiner Eltern die Kronen Zeitung das angesagte und gelesene Tagblatt. (Mittlerweile sind sie die Leiter des Boulevards bereits um mehrere Sprossen hinaufgestiegen. Sie lesen den Kurier.) Und die Schlagzeilen im späten Frühling bzw. frühen Sommer von 1979 rankten sich um die potenziellen Absturzstellen von Skylab und dem daraus folgenden möglichen Desaster für Menschen und deren Hab und Gut. Österreich wurde dabei nicht ausgespart.

Jeden Abend ging ich mit der Befürchtung und der sich in meinem Kopf abspielenden Gewissheit zu Bett, am nächsten Morgen sicher nicht mehr aufzuwachen, da mir die Raumfähre auf den Kopf gefallen war.

Dass Skylab rettungslos verloren war, gab die NASA am 19. Dezember 1978 bekannt. Bis zum 11. Juli 1979 blieb sie noch in einer Erdumlaufbahn bevor sie in West-Australien über unbewohntem Gebiet niederging.
Bis dahin war ich hundert Tode gestorben, hatte mehrere Gebete zum Himmel geschickt und war wochenlang mit fahler Gesichtsfarbe zum Unterricht in der Volksschule erschienen.

Heute lache ich darüber. Damals saß mir die Angst täglich mehrere Stunden im Nacken. Ich frage mich: Warum lassen wir Nachrichten durch die ganze Welt reisen, die Horrorszenarien (angeblich bis ins kleinste Detail recherchiert) in die Köpfe der Menschen verbreiten. Konsumierbar immer und überall dank Smartphone und Web-Anbindung.

Ich will und werde es, so gut wie möglich, verhindern, dass mein 3-jähriger Sohn, sobald er lesen kann, das alles ungefiltert aufnehmen muss. Ich will nicht, dass er – so wie ich – im Bett liegt und Pläne schmiedet, wie er denn heil aus einem brennenden Haus oder vor einem Erdbeben fliehen kann (soviel zum damals von der Sendung panoptikum in einer halben Stunde vermittelten Katastrophenwissen jeden Freitag um 18 Uhr). Ich hörte die Flammen den Gang entlang zu meiner Zimmertür kriechen.

Wie ich meinen Sohn vor der Welt da draußen beschützen will? Ich weiß, das kann ich nur bedingt. Aber ich kann ihn möglichst gut darauf vorbereiten; und ihm im Sinne der Medienpädagogik einen wachsamen Umgang mit den Medien und den auf ihn einprasselnden Nachrichten vermitteln.
Möge diese Übung gelingen.