30.10.14

Samhain - alias Halloween


Mein erstes Revival dieses ursprünglich keltischen Samhain-Festes erlebte ich am 31. Oktober 1989 an einem sehr passenden Ort. Salem (New Hampshire) nennt sich die Vorstadt von Boston, die ganze 30 Meilen von dieser Ostküstenstadt entfernt ist. Der Golden Oaks Drive, in dem ich damals als Au Pair residierte, bot eine gute Kulisse für das von Kindern mit Feuereifer praktizierte „trick or treat“ an einem eher kühlen Oktoberabend nach dem Indian Summer. Einer meiner Schützlinge aus der Gastfamilie war in jenem Jahr ziemlich im gleichen Alter wie mein Sohn heute. Er war schon Tage vorher ganz aufgeregt. Und beim Wochenendeinkauf im Supermarkt hatte sich die Familie bereits mit waschsackgroßen Päckchen an extrakleinen Twix, Mars, Milky Way, Bounty und anderen süßen Riegeln aus der Werkstatt von Mars Incorporated eingedeckt. Es war mehr als genug, um durch den Ansturm sämtlicher Drei- bis Zehnjährigen aus dem Wohnviertel nicht verweht zu werden. Ältere Semester interessierte das Spektakel anno dazumal wenig.

Halloween brachten die irischen Einwanderer mit in die USA. Und es geschah Ähnliches wie mit dem damals aktuellen Hit von Tom Petty und seinen Heartbreakers, TGI Friday oder anderen von mir in den USA gesammelten Erfahrungen. Sie kamen nach Europa. Die Musik binnen Wochen. Halloween brauchte dann doch ein paar Jahre über den großen Teich.

All Halloweens Eve bezeichnet eigentlich den Vorabend vor Allerheiligen. Es war das zweitwichtigste Fest der Kelten. Doch werden heute keine Knochenfeuer (bonfire) mehr entzündet, um die Reste des geschlachteten Viehs zu verbrennen. Die Menschen von heute huldigen dem Totengott der Kelten, Samhain, mit Kürbissuppe, Monster-Cookies und anderen Leckerlis aus der Welt der Lebenden. Dazu hüllen sich heute auch die Erwachsenen in fremde Kleider und treffen sich als Hexen, Vampire, Feldermäuse, Feen, Zombies und Geister in einem Lokal ihrer Wahl.

Nein, ich gehe nicht zur Halloween-Party im Rochus, die dort seit Wochen angekündigt ist. Obwohl das Lokal nur ein paar Schritte von unserer Wohnung entfernt ist. Und obwohl ich den „Untoten“ auf der Landstraßer Hauptstraße locker davonlaufen könnte.
Ich begnüge mich mit der papiernen Kürbis-Maske vom Vorjahr aus dem Kindergarten, die seit gestern wieder auf einem Fenstergriff hängt und orange-schwarz und wenig bedrohlich ins Wohnzimmer blickt. Und wenn in ein, zwei, drei Jahren unser Kleiner auf die Idee kommt als Geist durch das Wohnhaus zu spuken? Dann – ja dann werde ich mir etwas überlegen...

12.10.14

Sichere Kindheit


Mein Sohn fährt Laufrad. Seit mehr als einem Jahr nimmt er die Füße als Antriebsmittel um sie dann anzuheben und auf den Wiener Gehsteigen dahinzugleiten. Natürlich trägt er einen Sturzhelm. Dasselbe tue ich seit etwa zwölf Jahren. „Mir wäre wohler, wenn du beim Radfahren einen Helm trägst“, sagte mein damaliger Lebensgefährte und heutiger Ehemann. Denn ich absolvierte meine Wege Anfang der 2000er-Jahre eher auf dem Rad denn in den Öffis. Also kaufte ich mir einen roten Alpina. Der wich einem silbernen mit hellblauen Blümchen. Ohne Helm auf dem Kopf fühle ich mich mittlerweile als stiege ich nackt aufs Rad.

Generell zeichnet die Kinder von heute eines aus: Sie sind rund um die Uhr beschützt. Der Helm beim Radfahren, die Eltern neben den Geräten am Spielplatz. Wenn sie dann älter sind, dient das Mobiltelefon als Kontrollorgan über das Tun und Sein der Kids.

Wenn ich mich hingegen an meine eigene Kindheit erinnere: Wir kamen nach der Schule heim, aßen ein Mittagessen, machten die Aufgaben – und weg waren wir. Nach Hause zurück kamen wir pünktlich zum Abendessen. Zumindest in 99,9 % der Fälle. In der Zwischenzeit waren wir entweder beim Nachbarn und fuhren mit aufs Feld, spielten Tischtennis in der Maschinenhalle, trieben uns beim Bach herum und bauten Staumauern, planten Bandenspiel à la Kalle Blomquist – und was uns sonst noch so einfiel an einem langen Nachmittag.

Unsere Mutter wusste nie im Detail, wo wir gerade waren. Sie hatte kein Handy, um sich nach unserem Verbleib oder dem aktuellen Wohlergehen zu erkundigen. Wenn es Streit gab, waren wir stets dazu angehalten diesen selbst zu lösen. Was uns auch immer gelang, irgendwie. Und siehe da: Wir führen ein ganz normales Erwachsenenleben. Ja, wir haben uns mal ein Bein gebrochen oder sind mit dem Fahrrad gestürzt. Aber wir haben unsere Kindheit ohne Helm und Schutzanzug überstanden.

Mir tut es ein bisschen leid, dass unser Kleiner sich nicht einfach im Alter von unter 12 Jahren auf sein Rad wird schwingen können und drauf losfahren. Wir durften das. Zumindest auf dem Gehsteig vom Haus meiner Eltern die ganze Häuserzeile entlang bis zum Endl (und wieder retour). Der Hof dieses Bauernhofs war unsere Umkehrschleife. Was mir damals an einem Sonntag einen kurzen Aufenthalt in der Unfallabteilung des Horner Krankenhauses bescherte, weil sich die Schraubennabe des Rades meiner Schwester beim Zusammenstoß in meinen Oberschenkel gebohrt hatte.

Meine Mutter beteuert, dass sie sich nie Sorgen um uns gemacht hat. Was mir heute klar ist: Sie hat uns vertraut. Vertraut, dass wir keinen Blödsinn machen und uns nicht selbst in Gefahr bringen. Ja, wir sind in den TÜPL (Truppenübungsplatz) geradelt und haben Patronen gesammelt. Ja, wir haben gewusst, dass wir dort auf Blindgänger achten mussten und dass die größte Gefahr von nicht mehr offensichtlichen Hausbrunnen in den zerschossenen Dörfern ausgeht. Und tatsächlich sind wir nie in den Resten der Häuserzeilen von Loibenreith, Mestreichs oder Äpfel-Gschwendt herumgekrabbelt.

Mein Sohn wird wahrscheinlich für lange Zeit nur mit einem oder mehreren Erwachsenen an seiner Seite auf markierten (Rad)Wegen herumfahren. Ob er etwas vermissen wird? Wahrscheinlich nicht. Denn er kennt diese „Freiheit“ nicht, wie ich sie noch erleben durfte.

Was ich mich frage: Wie alt muss Colin werden/sein, um ihm zu vertrauen? Oder ist das keine Frage seines Alters sondern meiner Einstellung? Vorerst belasse ich es mal bei einem Fahrradhelm. Und wenn irgendwann einmal das obligatorische Mobiltelefon in seinen Händen ist, kann ich es mir sicher verkneifen ihn im Stundentakt anzurufen. Da vertraue ich mir.