Mein Sohn
fährt Laufrad. Seit mehr als einem Jahr nimmt er die Füße als Antriebsmittel um
sie dann anzuheben und auf den Wiener Gehsteigen dahinzugleiten. Natürlich
trägt er einen Sturzhelm. Dasselbe tue ich seit etwa zwölf Jahren. „Mir wäre
wohler, wenn du beim Radfahren einen Helm trägst“, sagte mein damaliger
Lebensgefährte und heutiger Ehemann. Denn ich absolvierte meine Wege Anfang der
2000er-Jahre eher auf dem Rad denn in den Öffis. Also kaufte ich mir einen
roten Alpina. Der wich einem silbernen mit hellblauen Blümchen. Ohne Helm auf
dem Kopf fühle ich mich mittlerweile als stiege ich nackt aufs Rad.
Generell
zeichnet die Kinder von heute eines aus: Sie sind rund um die Uhr beschützt.
Der Helm beim Radfahren, die Eltern neben den Geräten am Spielplatz. Wenn sie
dann älter sind, dient das Mobiltelefon als Kontrollorgan über das Tun und Sein
der Kids.
Wenn ich
mich hingegen an meine eigene Kindheit erinnere: Wir kamen nach der Schule
heim, aßen ein Mittagessen, machten die Aufgaben – und weg waren wir. Nach
Hause zurück kamen wir pünktlich zum Abendessen. Zumindest in 99,9 % der Fälle.
In der Zwischenzeit waren wir entweder beim Nachbarn und fuhren mit aufs Feld,
spielten Tischtennis in der Maschinenhalle, trieben uns beim Bach herum und
bauten Staumauern, planten Bandenspiel à la Kalle Blomquist – und was uns sonst
noch so einfiel an einem langen Nachmittag.
Unsere
Mutter wusste nie im Detail, wo wir gerade waren. Sie hatte kein Handy, um sich
nach unserem Verbleib oder dem aktuellen Wohlergehen zu erkundigen. Wenn es
Streit gab, waren wir stets dazu angehalten diesen selbst zu lösen. Was uns
auch immer gelang, irgendwie. Und siehe da: Wir führen ein ganz normales
Erwachsenenleben. Ja, wir haben uns mal ein Bein gebrochen oder sind mit dem Fahrrad
gestürzt. Aber wir haben unsere Kindheit ohne Helm und Schutzanzug überstanden.
Mir tut es
ein bisschen leid, dass unser Kleiner sich nicht einfach im Alter von unter 12
Jahren auf sein Rad wird schwingen können und drauf losfahren. Wir durften das.
Zumindest auf dem Gehsteig vom Haus meiner Eltern die ganze Häuserzeile entlang
bis zum Endl (und wieder retour). Der Hof dieses Bauernhofs war unsere
Umkehrschleife. Was mir damals an einem Sonntag einen kurzen Aufenthalt in der
Unfallabteilung des Horner Krankenhauses bescherte, weil sich die Schraubennabe des Rades meiner Schwester beim Zusammenstoß in meinen
Oberschenkel gebohrt hatte.
Meine Mutter
beteuert, dass sie sich nie Sorgen um uns gemacht hat. Was mir heute klar ist:
Sie hat uns vertraut. Vertraut, dass wir keinen Blödsinn machen und uns nicht
selbst in Gefahr bringen. Ja, wir sind in den TÜPL (Truppenübungsplatz)
geradelt und haben Patronen gesammelt. Ja, wir haben gewusst, dass wir dort auf
Blindgänger achten mussten und dass die größte Gefahr von nicht mehr
offensichtlichen Hausbrunnen in den zerschossenen Dörfern ausgeht. Und tatsächlich
sind wir nie in den Resten der Häuserzeilen von Loibenreith, Mestreichs oder
Äpfel-Gschwendt herumgekrabbelt.
Mein Sohn
wird wahrscheinlich für lange Zeit nur mit einem oder mehreren Erwachsenen an
seiner Seite auf markierten (Rad)Wegen herumfahren. Ob er etwas vermissen wird?
Wahrscheinlich nicht. Denn er kennt diese „Freiheit“ nicht, wie ich sie noch
erleben durfte.
Was ich
mich frage: Wie alt muss Colin werden/sein, um ihm zu vertrauen? Oder ist das
keine Frage seines Alters sondern meiner Einstellung? Vorerst belasse ich es
mal bei einem Fahrradhelm. Und wenn irgendwann einmal das obligatorische
Mobiltelefon in seinen Händen ist, kann ich es mir sicher verkneifen ihn im
Stundentakt anzurufen. Da vertraue ich mir.
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