26.09.14

Stadt, Land


Eines der Lieblingsspiele in meiner Kindheit hieß: Stadt-Land. Ergänzt um mindestens Berg-Fluss-Auto. Ein Zettel Papier für jeden Mitspieler. Noch einen Stift. Und es konnte losgehen. Einer sagte leise das Alphabet vor sich hin. Einer sagte Stopp. F. Wer als erster fertig war mit Frankfurt, Frankreich, Fulufjäll, Fulda, Ford hatte gewonnen. Je nach Lust, Laune und Mitspielern wurde ergänzt um eine Speise, ein Getränk, eine Sportart – Frankfurter, Fanta, Fechten. Damals lebte ich noch auf dem Land.

Mein Leben als Stadtkind begann vor 24 Jahren. Im März 1990 schwor ich mir, als ich meinen ersten Dienstvertrag im Vienna Plaza Hilton unterschrieb, dass ich nur 2 bis 3 Jahre bleiben werde. „Dann gehe ich wieder zurück ins Waldviertel“, sagte ich jedem, der mich nach meiner Zukunft fragte. Meine Stadt-Zeit ist mittlerweile länger als meine Land-Zeit. Und ich habe trotz des vielen Betons Wurzeln geschlagen. Das wurde mir bewusst, als wir im Frühling ein Angebot hatten, in ein gemietetes Haus in Mattersburg zu ziehen. Mattersburg? Burgenland? Niemals! Meine innere Stimme sträubte sich schon, bevor mein Verstand sich der Tragweite einer solchen Entscheidung überhaupt bewusst geworden wäre. (Nein, ich habe keine Vorurteile.)

Dennoch bleiben meine Augen bei Haus-Verkaufs-Anzeigen in der Bank stets hängen. Meist bei den Optionen für das Waldviertel. Günstig, entlegen, pittoresk. Außer, es steht ein 1970er-Jahre-Bau zum Verkauf, wo wieder einmal ein Möchtegern-Schlossherr sein Selfmade-Werk in die Landschaft gepflanzt hat. Aber derzeit ist das Leben in Wien bequem und einfach. Der Kindergarten bietet Ganztagesbetreuung. Die Auswahl an Schulen ist enorm. Ich brauche kein Auto und komme trotzdem (in Wien) überall hin, wo ich will. Und doch war ich einmal in meinem Leben kurz davor, so zu sein, wie „alle“ anderen.

An einem milden Frühlingstag Anfang der 1990er-Jahre traf ich mich mit meinem Papa in Horn. Gemeinsam fuhren wir zum Autohaus Stöger. Dort erwartete uns ein Verkäufer. Ich machte zwei Probefahrten: eine mit einem weißen Suzuki Swift, eine mit einer roten Nissan Micra Mouse. Letztere hätte ich bar bezahlen können. Ersterer gefiel mir besser. Ich schlief eine Nacht drüber im Dachgeschoß meines Elternhauses im Jung-Mädchen-Zimmer: mit Postern behängt (Jungs mit Föhnwelle leuchtend mit Airbrush neben die Glitterlady gesprüht), mit gesammelten, exotischen (nicht gerauchten) Zigarettenpackungen bestückt, wenigen Büchern, einer Kompaktstereoanlage im Regal, einer SK-Rapid-Fahne im Gebälk, einem Witch-Hut in schwarz importiert aus New Hampshire und sonstigen Dingen, von denen ich mich längst getrennt habe. Als ich am Tag danach erwachte, stand fest: Ich kaufe mir kein Auto. Dabei ist es bis heute geblieben.

Ich brauche kein Auto, um mich frei und unabhängig zu fühlen. Autofrei lässt sich auch (entgegen der Worte anderer Eltern) mit Kind managen. Angeblich sind zwei Kinder die magische Grenze für das ja oder nein zum eigenen Pkw. Bislang haben wir jedes Ziel auch ohne eigenes Auto erreicht. Wäre ich im Waldviertel hätten wir einen Erst- und Zweit-Pkw, um in unterschiedliche Richtungen zur Arbeit zu fahren. Denn die öffentliche Verkehrsanbindung findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Ein Bus in der Früh, einer am Abend – das ist das Angebot für potenzielle PendlerInnen in meiner ehemaligen Heimatgemeinde.

Und so bleibe ich einstweilen in Wien. Jage mit der Jahreskarte bewaffnet vom Cafe zum Kindergarten, vom Kindergarten ins Büro, vom Büro zu einem Treffen mit Freundinnen. Oder ich benutze mein Fahrrad mit Kindersitz. So ist und bleibt mir Wien derzeit grüner als ein Leben auf dem Land.

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