23.03.16

Kaffeemeditation

Gab es ein Leben vor dem Kaffee? Möglich. Erinnere ich mich daran? Nur mäßig. Klar im Gedächtnis hingegen sind die Filterkaffeemaschinen aus meiner Kindheit, die in fast jedem Haus standen. Zuerst ein Melitta-Filterpapier, dann ein paar Löffel zuvor frisch geriebener Bohnenkaffee und ein paar Löffel Feigenkaffee. Fertig war der Blümchenkaffee, den sogar wir Kinder trinken durften. Koffein kam nur in Spuren vor. Der Herzschlag blieb in seinem Rhythmus. Und alles ging langsam. Auch das Tropfen des braun gefärbten Wassers in die gläserne Filterkanne. Kaffee blieb ein Luxusgetränk, das es nur am Samstag und Sonntag zu trinken gab. Unter der Woche war die Welt ein Früchtetee.

Erste Ausbruchsversuche aus diesem Trott machte ich in den letzten beiden Jahren der Handelsakademie. Wenn ich an Samstagen direkt vom Autobus in das Cafe-Espresso Mu ging, dort meine SchulfreundInnen traf und eine Melange ohne Blümchen aber mit Schlagobers trank. Derart aufgeputscht war auch das Business-Englisch erträglich, das uns in der ersten Stunde erwartete. Wirtschaftsartikel aus dem Time-Magazin zu übersetzen, gehörte nicht zu meinen Lieblingsbeschäftigungen, auch wenn es mir leicht fiel.

Der aus meiner Vorliebe für die englische Sprache logische Schritt war, in die USA zu gehen und dort als Au Pair zu arbeiten. „Warum gibt es bei uns zu Hause eigentlich keine Refills?“, frage ich mich gemeinsam mit einer aus Deutschland dort zur Freundin gewordenen jungen Frau, wenn wir des Abends bei der x-ten Tasse Kaffee im Denny’s saßen und dazu „applestrudel with vanilla ice-cream“ aßen. Das war die letzte Geburtsminute einer „Kaffee-Süchtigen“.

Zurück in Österreich konnte ich folglich nur in Wien leben; der Stadt der Kaffeehäuser. Und dass Kaffee ins Alltagsleben jeder ordentlichen Büro-Arbeiterin gehörte, erfuhr ich gleich bei meinem ersten Job im Vienna Plaza. Kaffee gab es dort jederzeit verfügbar in der Kantine im Keller. Ein Druck auf den Knopf und fertig.

Und dennoch: In meiner Wien-Zeit übte ich mich immer wieder mal im Widerstand gegen den Koffein-Wahn. Länger als ein paar Wochen hielten meine kaffeefreien Phasen selten an. Zu gut schmeckte der Latte macchiato, den ich in meinem Lieblings-Cafe trank und währenddessen an meiner Diplomarbeit schrieb.

Auch jetzt steht eine Tasse Kaffee neben mir. Ohne Koffein-Kick zu schreiben, geht fast gar nicht. Oder nur in Ausnahmefällen. Da habe ich wohl auch zu viel Simone de Beauvoir gelesen, deren Lieblingsplatz das Café de Flore war, und die auch oft das Schreiben, Denken und Reden mit dem Kaffeetrinken verband.

Koffein öffnet den Geist, lässt die Gedanken klarer werden und hilft, fokussiert zu bleiben. Zwar werde ich mich nie in die Reihe der Wiener Kaffeehausliteraten einreihen: Einerseits, weil ich kein Mann bin und andererseits, weil mir ein Joseph, Rochus, eine Urania oder Hidden Kitchen lieber sind als ein Prückel, Griensteidl, Landtmann oder Eiles. Das etwas verstaubte Image des typischen Wiener Cafes liegt mir ebenso wenig wie der Geschmack der dort kredenzten Kaffee-Varianten. Latte macchiato? Hm. Sojamilch? Sicher nicht.

Eine, maximal zwei Tassen am Tag. Mehr ist derzeit aus gesundsbewussten Überlegungen nicht drin. Vorbei sind die Zeiten, da ich fünf bis sechs Kaffee am Tag trank und auch am Ende einer durchtanzten Ballnacht noch eine Melange im Gasthof trank. Diese Minimalisierung des Koffeins befürwortet auch mein TCM-Arzt, der dabei jedoch beide Augen zudrückt, damit ich nicht sehen kann, wie er sie innerlich verdreht.

Und dennoch: Jeder Mensch sollte – finde ich – mindestens ein kulinarisches Special haben, dem er sich voll und ganz verschworen hat. Sei es der Kaffee, der Wein, die Schokolade oder was anderes. Das Leben ist zu kurz, um sich ständig den Kopf darüber zu zerbrechen, ob das nun gesund oder gut sei oder ob ich die Erwartung einer 25 Jahre andauernden Pensionszeit damit um einige Monate schmälere.

Außerdem kann Kaffee beim Meditieren helfen. Sagen einige. Andere sagen das genaue Gegenteil. Wobei das Beobachten des durch den Filter tropfenden Kaffees den Atem beruhigt und dich ganz auf das Hier und Jetzt und Bald-ist-es-soweit fokussieren lässt.