Gab es ein
Leben vor dem Kaffee? Möglich. Erinnere ich mich daran? Nur mäßig. Klar im
Gedächtnis hingegen sind die Filterkaffeemaschinen aus meiner Kindheit, die in
fast jedem Haus standen. Zuerst ein Melitta-Filterpapier, dann ein paar Löffel zuvor
frisch geriebener Bohnenkaffee und ein paar Löffel Feigenkaffee. Fertig war der
Blümchenkaffee, den sogar wir Kinder trinken durften. Koffein kam nur in Spuren
vor. Der Herzschlag blieb in seinem Rhythmus. Und alles ging langsam. Auch das
Tropfen des braun gefärbten Wassers in die gläserne Filterkanne. Kaffee blieb
ein Luxusgetränk, das es nur am Samstag und Sonntag zu trinken gab. Unter der
Woche war die Welt ein Früchtetee.
Erste
Ausbruchsversuche aus diesem Trott machte ich in den letzten beiden Jahren der
Handelsakademie. Wenn ich an Samstagen direkt vom Autobus in das Cafe-Espresso
Mu ging, dort meine SchulfreundInnen traf und eine Melange ohne Blümchen aber mit
Schlagobers trank. Derart aufgeputscht war auch das Business-Englisch
erträglich, das uns in der ersten Stunde erwartete. Wirtschaftsartikel aus dem
Time-Magazin zu übersetzen, gehörte nicht zu meinen Lieblingsbeschäftigungen,
auch wenn es mir leicht fiel.
Der aus
meiner Vorliebe für die englische Sprache logische Schritt war, in die USA zu
gehen und dort als Au Pair zu arbeiten. „Warum gibt es bei uns zu Hause
eigentlich keine Refills?“, frage ich mich gemeinsam mit einer aus Deutschland
dort zur Freundin gewordenen jungen Frau, wenn wir des Abends bei der x-ten
Tasse Kaffee im Denny’s saßen und dazu „applestrudel with vanilla ice-cream“
aßen. Das war die letzte Geburtsminute einer „Kaffee-Süchtigen“.
Zurück in
Österreich konnte ich folglich nur in Wien leben; der Stadt der Kaffeehäuser.
Und dass Kaffee ins Alltagsleben jeder ordentlichen Büro-Arbeiterin gehörte,
erfuhr ich gleich bei meinem ersten Job im Vienna Plaza. Kaffee gab es dort
jederzeit verfügbar in der Kantine im Keller. Ein Druck auf den Knopf und
fertig.
Und
dennoch: In meiner Wien-Zeit übte ich mich immer wieder mal im Widerstand gegen
den Koffein-Wahn. Länger als ein paar Wochen hielten meine kaffeefreien Phasen
selten an. Zu gut schmeckte der Latte macchiato, den ich in meinem
Lieblings-Cafe trank und währenddessen an meiner Diplomarbeit schrieb.
Auch jetzt
steht eine Tasse Kaffee neben mir. Ohne Koffein-Kick zu schreiben, geht fast
gar nicht. Oder nur in Ausnahmefällen. Da habe ich wohl auch zu viel Simone de
Beauvoir gelesen, deren Lieblingsplatz das Café de Flore war, und die auch oft
das Schreiben, Denken und Reden mit dem Kaffeetrinken verband.
Koffein
öffnet den Geist, lässt die Gedanken klarer werden und hilft, fokussiert zu
bleiben. Zwar werde ich mich nie in die Reihe der Wiener Kaffeehausliteraten
einreihen: Einerseits, weil ich kein Mann bin und andererseits, weil mir ein
Joseph, Rochus, eine Urania oder Hidden Kitchen lieber sind als ein Prückel,
Griensteidl, Landtmann oder Eiles. Das etwas verstaubte Image des typischen
Wiener Cafes liegt mir ebenso wenig wie der Geschmack der dort kredenzten
Kaffee-Varianten. Latte macchiato? Hm. Sojamilch? Sicher nicht.
Eine,
maximal zwei Tassen am Tag. Mehr ist derzeit aus gesundsbewussten Überlegungen
nicht drin. Vorbei sind die Zeiten, da ich fünf bis sechs Kaffee am Tag trank
und auch am Ende einer durchtanzten Ballnacht noch eine Melange im Gasthof
trank. Diese Minimalisierung des Koffeins befürwortet auch mein TCM-Arzt, der
dabei jedoch beide Augen zudrückt, damit ich nicht sehen kann, wie er sie
innerlich verdreht.
Und
dennoch: Jeder Mensch sollte – finde ich – mindestens ein kulinarisches Special
haben, dem er sich voll und ganz verschworen hat. Sei es der Kaffee, der Wein,
die Schokolade oder was anderes. Das Leben ist zu kurz, um sich ständig den
Kopf darüber zu zerbrechen, ob das nun gesund oder gut sei oder ob ich die
Erwartung einer 25 Jahre andauernden Pensionszeit damit um einige Monate
schmälere.
Außerdem
kann Kaffee beim Meditieren helfen. Sagen einige. Andere sagen das genaue
Gegenteil. Wobei das Beobachten des durch den Filter tropfenden Kaffees den
Atem beruhigt und dich ganz auf das Hier und Jetzt und Bald-ist-es-soweit
fokussieren lässt.