27.02.15

Freiwillig organisiertes Landleben


Meine Zeit beim SV Pölla begann mit dem „Steine klauben“ am Fußballplatz; besser gesagt: jener Wiese, die zu einem solchen werden sollte. Ich war erst in der Volksschule. Unzählige Menschen versammelten sich auf dem Spielfeld in spe und bildeten eine Reihe. Dann wurde akribisch jeder größere und kleinere Stein in einen Kübel geworfen. Den vollen Kübel brachten die Erwachsenen zu einer Scheibtruhe, deren Inhalt auf einen großen Steinhaufen geleert wurde. Das war meine erste Etappe im relativ neu geborenen Fußballverein.

Im Alter von 17 oder 18 wurde ich erstmals freiwillig zum Bardienst bei diversen Festen oder Bällen abkommandiert. Freiwillig deshalb, denn beim ersten damals stattgefundenen Feuerwehrheurigen wagte ich es, in die Rolle einer Kellnerin zu schlüpfen. Ich trug Grillhendl, Bratwürstel, Bierkrüge, G’spritze und Almudler für die Kinder durch die Halle eines landwirtschaftlichen Fuhrparks. Mähdrescher, Traktor, Pflug und andere Geräte mussten während der Festtage im Freien parken. Welcher Tisch war das noch gleich, wo die fünf Hendln hingehörten? Mir schwirrte ziemlich rasch der Kopf. Mit einem Fehlbetrag von 500 Schilling in meiner Kellner-Brieftasche beendete ich meinen Ausflug ins Land der Gastronomie. Mein gesamtes Trinkgeld ging für den Ausgleich drauf.

Das passierte mir in der Schnaps-Bar nie. Die Trinkwütigen kamen zu uns – meiner Schwester, ihrem damaligen Freund und mir. Wir spielten Beach Boys und mischten Getränke in großem Stil: Wieviel Tequila Sunrise passt in ein Wasserschaffel? Wir hatten die richtige Liter-Menge an Tequila, Orangensaft, Grenadine und Zitronensaft im Kopf. Das selbe taten wir mit Erdbeer-Bowle oder anderen damals hoch im Kurs der trinkenden Jugend stehenden Mixgetränke. Red Bull mit rotem Wodka kam später, da hatte ich längst schon jeden Dienst rund um den Alkohol und dessen Ausschank quittiert. Auch weil es mir irgendwann zu mühsam war, den letzten jungen und alten Säufern – es waren immer Männer – um vier Uhr morgens beim Lamentieren über ihr verlorenes Liebesglück zu lauschen. Ja, beim ersten oder zweiten Mal war es noch witzig. Doch blieben über die Jahre stets die gleichen Rest-Gäste in der Schnapsbar hängen. Und ich kannte die jeweilige Lebens- und Leidensgeschichte schon in- und auswändig.

Am Land kommt man natürlich nicht an der Kirche vorbei. Zumal wir gleich gegenüber wohnten. Die Glocke vom Turm gibt auch heute noch zu jeder viertel Stunde mindestens einen Schlag von sich. Wir – meine Schwester und ich – mussten jeden Sonntag in die Kirche gehen. „Wenn du fortgehen kannst, kannst du am nächsten Tag auch aufstehen“, lautete die allgemein gültige Erklärung in unserer Familie für den obligatorischen Besuch der um ¼ 10 Uhr beginnenden Messe. In meinen Teenagerjahren tat ich mich mit anderen Mädels aus dem Dorf zusammen, um ein „ernstes“ Wort mit unserem Pfarrer zu reden. Zwar weigerte er sich, uns Ministrantinnen werden zu lassen, aber für Lesung und Fürbitten lesen durften wir an die kleine Kanzel nach vorne gehen und das Wort Gottes über Mikrofon zum Besten geben. Durch meinen Umzug nach Wien mit Anfang zwanzig haben sich all diese Engagements nach und nach von selbst erledigt.

Im Waldviertel gehört das Vereinsleben zum Alltag; ist es selbstverständlich – zumindest war es das in unserer Familie – überall Mitglied zu sein und auch mit anzupacken. Dieser sanfte Druck lässt dich unzählige Gläser abwaschen, Böden kehren, Tische reinigen, aufstellen und abbauen, Verlängerungskabel organisieren, Getränkekisten schleppen, Großeinkäufe erledigen usw.

In der Großstadt ist das anders: Alles steht und fällt mit dem eigenen Engagement. Dem Mut, über eine fremde Türschwelle zu treten und mit anfangs noch Fremden auf freiwilliger Basis gemeinsame Sache zu machen. Diesen Samstag werde ich erstmals in das Vereinsleben in Wien hineinschnuppern. Ich bin eingeladen, Rechnungsprüferin vom Kulturverein „doppelpass“ zu werden. Als ehemalige Hobby-Fußballerin und engagierte Privat-Schreiberin könnte das eine spannende Erfahrung werden, die ich in Wien bislang links liegen gelassen habe.

06.02.15

Haben oder Sein

Gestern war ich mit meinem vierjährigen Sohn in Ulrichskirchen. Mein Bruder ist dabei, sich dort ein Haus zu kaufen. Meine Schwester ist vor fast genau zwei Jahren in Cornwall im Eigenheim sesshaft geworden. Der jüngste Bruder lebt seit Geburt im Haus unserer Eltern und wird dort auch bleiben. Nur ich bin noch immer eine Miet-Nomadin. Und beginne seit dem Auftauchen meines Sohnes auf dieser Welt darüber nachzudenken, ob mein bisheriges Lebenskonzept nicht doch zu wenig zukunftsorientiert sein könnte. Wozu brauche ich Besitz? Den kann ich ja ohnehin einmal nicht mitnehmen. Okay, auf meine Wand voller Bücher will ich dann doch nicht verzichten. Doch wäre es keine so große Umwälzung, die bereits gelesenen Werke jemand anders zu übergeben.

Neben diesem Nicht-besitzen-wollen begleitet mich noch ein zweiter Grundsatz: Ich will nicht mehr als 30 Stunden pro Woche arbeiten. Nun hat mir die Pensionsversicherung mittels wichtigem Schreiben zu verstehen gegeben, dass dies für meine fernere Zukunft eine fahrlässige Herangehensweise sein könnte. Bestraft wird man dafür, nicht Vollzeit gearbeitet zu haben mit einem Abzug von 2 % pro Jahr, auch wenn der Nettobetrag auf dem Gehaltszettel ein für mich gutes Einkommen bedeutet hatte.

Macht es Sinn, alle Werte, die mein Leben bisher bestimmten, über Bord zu werfen? Und mich anstelle des Seins auf das Haben zu konzentrieren? Ich erinnere mich noch an das 25-jährige Maturatreffen letzten November. Viele Audis und BMWs parkten vor dem „mundart“ in Horn. Die dort in die Unterhaltung geworfenen ausbezahlten Einfamilienhäuser und Grundstücke in Wiens Speckgürtel nagten kurz an meinem Selbstbewusstsein. Wäre ich glücklicher, hätte ich den Berufsweg als Bankerin eingeschlagen?

„Zwanghaftes Arbeiten allein würde die Menschen ebenso verrückt machen wie absolutes Nichtstun. Erst durch die Kombination beider Komponenten wird das Leben erträglich“, sagte Erich Fromm, dessen Werk „Haben oder Sein“ ich mehr als einmal gelesen haben.

Wahrscheinlich bin ich gerade deshalb (noch immer) auf der Suche nach meiner Berufung. Denn arbeiten, bloß um Geld zu verdienen (egal, was man tut) ist für mich ein Widerspruch. Arbeit darf (und muss eigentlich sogar) Spaß  machen. Darum bin ich mit Mitte vierzig so weit, mir meinen eigenen Arbeitsplatz zu kreieren. Der letzte Anstoß zu diesem Schritt ist die am eigenen Wesen erfahrene Unvermittelbarkeit für einen „regulären“ Job mit 44+.

So darf ich so sein, wie ich will. Und werde je nach geleistetem Aufwand zu einem Haben finden. Bestenfalls tue ich etwas, das sich auch mit 65+ noch „anstrengungslos“ schaffen lässt, um gegebenenfalls das magere Pensionskonto aufzufetten. Denn das Sein allein ernährt mich nicht.