06.02.15

Haben oder Sein

Gestern war ich mit meinem vierjährigen Sohn in Ulrichskirchen. Mein Bruder ist dabei, sich dort ein Haus zu kaufen. Meine Schwester ist vor fast genau zwei Jahren in Cornwall im Eigenheim sesshaft geworden. Der jüngste Bruder lebt seit Geburt im Haus unserer Eltern und wird dort auch bleiben. Nur ich bin noch immer eine Miet-Nomadin. Und beginne seit dem Auftauchen meines Sohnes auf dieser Welt darüber nachzudenken, ob mein bisheriges Lebenskonzept nicht doch zu wenig zukunftsorientiert sein könnte. Wozu brauche ich Besitz? Den kann ich ja ohnehin einmal nicht mitnehmen. Okay, auf meine Wand voller Bücher will ich dann doch nicht verzichten. Doch wäre es keine so große Umwälzung, die bereits gelesenen Werke jemand anders zu übergeben.

Neben diesem Nicht-besitzen-wollen begleitet mich noch ein zweiter Grundsatz: Ich will nicht mehr als 30 Stunden pro Woche arbeiten. Nun hat mir die Pensionsversicherung mittels wichtigem Schreiben zu verstehen gegeben, dass dies für meine fernere Zukunft eine fahrlässige Herangehensweise sein könnte. Bestraft wird man dafür, nicht Vollzeit gearbeitet zu haben mit einem Abzug von 2 % pro Jahr, auch wenn der Nettobetrag auf dem Gehaltszettel ein für mich gutes Einkommen bedeutet hatte.

Macht es Sinn, alle Werte, die mein Leben bisher bestimmten, über Bord zu werfen? Und mich anstelle des Seins auf das Haben zu konzentrieren? Ich erinnere mich noch an das 25-jährige Maturatreffen letzten November. Viele Audis und BMWs parkten vor dem „mundart“ in Horn. Die dort in die Unterhaltung geworfenen ausbezahlten Einfamilienhäuser und Grundstücke in Wiens Speckgürtel nagten kurz an meinem Selbstbewusstsein. Wäre ich glücklicher, hätte ich den Berufsweg als Bankerin eingeschlagen?

„Zwanghaftes Arbeiten allein würde die Menschen ebenso verrückt machen wie absolutes Nichtstun. Erst durch die Kombination beider Komponenten wird das Leben erträglich“, sagte Erich Fromm, dessen Werk „Haben oder Sein“ ich mehr als einmal gelesen haben.

Wahrscheinlich bin ich gerade deshalb (noch immer) auf der Suche nach meiner Berufung. Denn arbeiten, bloß um Geld zu verdienen (egal, was man tut) ist für mich ein Widerspruch. Arbeit darf (und muss eigentlich sogar) Spaß  machen. Darum bin ich mit Mitte vierzig so weit, mir meinen eigenen Arbeitsplatz zu kreieren. Der letzte Anstoß zu diesem Schritt ist die am eigenen Wesen erfahrene Unvermittelbarkeit für einen „regulären“ Job mit 44+.

So darf ich so sein, wie ich will. Und werde je nach geleistetem Aufwand zu einem Haben finden. Bestenfalls tue ich etwas, das sich auch mit 65+ noch „anstrengungslos“ schaffen lässt, um gegebenenfalls das magere Pensionskonto aufzufetten. Denn das Sein allein ernährt mich nicht.

3 Kommentare:

  1. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich die Früchte dieser Entscheidungen als einer der ersten auskosten werde ;)

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  2. Sehr schöne Gedanken! Und ich bin sehr wohl davon überzeugt, dass uns das "ganz ICH selbst Sein" nährt :-) weil überall dort, wo wir in unserer Freude und Begeisterung sind, auch das Geld zuströmt... und ich freue mich jetzt schon für dich, wenn sich genau das für dich auftut, Manuela

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