Im Sommer
1986 kam Claire Smith aus Manchester zu mir ins Waldviertel. Der Kulturschock
war ihr damals nur dezent ins Gesicht geschrieben. Von einer Stadt, die auch so
manche Pop-Gruppe hervorgebracht hatte in ein 250-Menschen-Dorf ist nicht ganz
ohne. Hier wurde nicht in jedem Wirtshaus am Abend die Gitarre gezückt und
Musik gemacht. Frauen und Mädchen waren generell eher selten gesehene Gäste
beim Dorfwirt. Außer nach dem Fußballmatch der heimischen Mannschaft. Da saßen
dann alle: Männer und Frauen, Burschen und Mädchen in unmittelbarer Nähe eines
Zapfhahns und auch am Stammtisch. Für die Kleinen gab es Bensdorp-Schokoriegel
in blau und grün oder Manner-Schnitten zum Obi.
Zurück zu
Claire: Sie verließ meine Ex-Heimat mit ein paar neuen Geschmacksrichtungen am
Gaumen: Grillhendl und Bratlfettn etwa. Und als Deutsch-Studierende auch mit
ein paar nicht in der Schule gelernten Wörtern auf der Zunge wie Leitn für
Abhang oder heigna für heuen. Und bekam zu spüren, dass der eiserne Vorhang gefühlt
unmittelbar neben unserem Dorf begann: Der Truppenübungsplatz war eine „natürliche“
Barriere in den Norden.
Möglich
gemacht hatte unsere zwei Jahre dauernde Bekanntschaft ein
Schüleraustauschprogramm. Ich war meinen Eltern damals lange genug in den Ohren
gelegen, dass ich nach England musste, sonst wäre es um mein künftiges
Wohlergehen geschehen. Denn ich wollte unbedingt anwenden, was ich in der
Schule gelernt hatte. Hing ich doch von der ersten Englisch-Stunde an meiner
Professorin im Gymnasium an den Lippen. Sie verwendete nie eine deutsche Silbe
im Unterricht und lehrte den britischen Akzent. Im Waldviertel selbst bot sich
wenig Gelegenheit, mit native speakers zu plaudern. Also blieb mir nur der Weg über den Kanal.
Was ich als
erstes lernte, als ich ein Jahr später britischen Boden betrat: Die englische
Küche ist durchaus genießbar, wenn die Gastfamilie einen Faible für Italien
hat. Es gab oft Pasta und niemals fish&chips zum Abendessen. Und am
Nachmittag gegen fünf trank ich mit Claires Dad einen Instant-Kaffee und aß
dazu Baguette mit Tomate und Käse – nix mit Earl Grey und Gurkensandwich.
Meine
Gastfamilie wohnte in einem Vorort von Manchester namens Cheadle Hulme. Dort
ging ich das erste Mal zu einem Mc Donalds und ließ den Vanilla-Shake nach ein
paar Schlucken stehen. Er war mir, die ich noch nie Fastfood gegessen hatte,
viel zu süß. Mit ihrer Oma trafen wir uns einmal im Pub zum Mittagessen. Für
einen Abendbesuch hatte ich noch nicht die notwendigen Jahre. Ale und Lager
waren sowieso nicht meines. Und Cider kannte ich noch nicht einmal vom
Hörensagen. Ich sah meine ersten Mumien, als wir durch Manchesters Museen streiften
und kam auf dem Rücksitz der Familienkutsche bis nach Wales. Ich lernte
außerdem, dass es Mandschasta hieß
und nicht Mendschesta. Am Ende der
zwei Wochen träumte ich sogar schon auf englisch.
Worüber ich
mich wunderte: Über Menschen in Shorts, Röcken und T-Shirts ohne Socken und
Strümpfe bei Temperaturen unter 20 Grad. Darüber, dass alle – fast alle –
schlank waren; egal ob alt oder jung. Wenn ich da an die BesucherInnen von den
Cafe-Konditoreien in Österreich dachte... kein Vergleich.
Seither war
ich noch fünf Mal auf der britischen Insel. Drei Mal besuchte davon meine
Schwester, die England als neue Heimat gewählt hat. Morgen Mittwoch startet der
siebte Ausflug – mit dem Auto quer durch Europa. 1987 war Österreich noch weit
davon entfernt, Mitglied der EU zu werden. Heute steht Großbritannien vor dem
Austritt. Das obligatorische Geldwechseln blieb über die Jahre gleich.
Ob mein
Sohn einmal uneingeschränkt durch Europa wird reisen können, wenn er – so wie
ich damals – 16,17 sein wird? Schwer zu sagen. Derzeit stehen die Zeichen auf
mehr Unfreiheit als ich als „Kind des Kalten Krieges“ je zu befürchten wagte.
Vielen Dank für diese nützliche Informationen zu teilen. Ihr Blog ist wunderbar, es hat eine Menge interessanter Artikel und Beratung.
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