Im
Waldviertel sagen sich schon lange nicht mehr Fuchs und Hase gute Nacht. Längst
haben Schreibende und Malende diesen Flecken Erde für sich erobert, als das
optimale Refugium erkannt, um ihrer Kreativität freien Lauf zu lassen oder die
Kräfte wieder neu aufzutanken.
Einen
Schriftsteller hat es in mein Heimatdorf verschlagen. Als ich noch dort lebte,
gab es nur wenige Wochenend-WienerInnen, die pünktlich am Freitag Abend ihr
Auto vor dem gekauften Häuschen parkten und sich am Sonntag Abend wieder voll
bepackt auf den Weg zurück nach Wien machten. Einer von ihnen kam vom
Rennbahnweg. Er saß oft in einem der Wirtshäuser und sein Ur-Wienerisch war für
meine Waldviertler Ohren gewöhnungsbedürftig.
Ein anderer
galt als verschrobener Einzelgänger und hatte einen Doberman im Garten, vor dem
ich mich fürchtete, auch wenn er immer hinter dem Zaun war. Im Dorf wurde
gemunkelt, dass er manchmal drüber sprang. Also besser Augen zu und
vorbeigehen. Es gab nie einen erwähnenswerten Zwischenfall. Ihm folgte ein weiterer
Doberman nach, der als nur halb so wild galt. Auch wurde ich älter und weniger
furchtsam gegenüber von „scharfen Hunden“.
Wieder
andere Wahl-WaldviertlerInnen haben sich in der Pension fix draußen
niedergelassen und sind mittlerweile im Dorfleben gut verankert. Um Teil des
lokalen „Gerichts“ zu werden, braucht es am Land die eine oder andere Zutat:
Der Mann wird Feuerwehrmann – was jedoch eher den Einheimischen vorbehalten
bleibt denn den „Zuagrastn“ zugestanden wird. Oder man geht zum Sportverein, wo
die Durchlässigkeit für „Legionäre“ schon größer ist. Die dritte Variante – man
engagiert sich in der Kirche. Dort wird jede und jeder bereitwillig
aufgenommen, zumal die Schäfchen auch am Land verloren gehen.
Sogar der
nach der Messe obligatorische Gang zum Frühschoppen wurde aufgelockert. Früher
war der Gang zum Wirten den Männern vorbehalten, um in Ruhe ein Seidl oder
Krügel zu trinken, bevor sie heim zu Frau und Kindern zum Mittagessen gingen. Heute
gehen die Frauen mit und trinken eine Melange anstelle des Bieres, die Männer
ebenso. Der Kaffee ist meist in einer Santora-Tasse, die noch aus den
1980er-Jahren stammt und ein fast zeitloses Design ihr eigen nennt, hat sie doch
den Jahrtausendwechsel schadlos überstanden.
Als ich
letzte Woche mit Mann und Kind von einer spontanen Hausbesichtigung in
Hirschbach zurückkam, versuchte ich mich als zukünftige Hausbesitzerin und oben
genannte Wochenend-Wienerin in
einer Gemeinde zu sehen, die meiner eigenen nicht unähnlich war. Okay,
Hirschbach hat einen roten Bürgermeister und ein Schloss. Das gab und gibt es
bei uns beides nicht. Alles andere ist fast ident: Greißler, Feuerwehr,
Sportplatz für Fußball und Tennis, Dorferneuerungsverein etc.
Wir
stiefelten letzten Samstag bei Eiseskälte durch drei Häuser und beäugten die
überaus kostengünstigen potenziellen zukünftigen Bleiben. Zwei davon lagen am
Schlossplatz gleich neben der Kirche und hatten mehrere hundert Jahre Bestehen
in ihren Mauern. Die dazugehörigen Gärten waren klein aber fein und in einem
gab es sogar einen Apfel- und einen Birnbaum. Das wäre ein fast unschlagbares
Kaufargument gewesen.
Nach einer
Woche Bedenkzeit mehrten sich die ersten Zweifel: Will ich in eine Idylle
zurückkehren, die ich lediglich in nostalgischen Gedanken an die Vergangenheit
als eine solche definiert hatte? Und vor allem: Sah ich mich wirklich als
Pendlerin zwischen Wien und Hirschbach? Nicht Fisch, nicht Fleisch für mehrere
Jahre – das Wochenendpendeln hatte ich mich schon in meinen Zwanzigern eher
unrund gemacht.
Und ist
Hirschbach im Waldviertel der richtige Ort, um den eigenen Sohn möglichst
liberal aufwachsen zu lassen? Denn geplant hatten wir, nach vier Jahren ganz
draußen zu bleiben. Da hätte er die Volksschule in Wien hinter sich. Als
„Bobo-Mama“ habe ich ihn für eine Montessori-Klasse in einer Ganztagesschule in
unserem Bezirk angemeldet. Etwas Vergleichbares im Waldviertel zu finden: Ich
wüsste nicht, wo ich zu suchen anfangen sollte? Will ich ihm die Chance auf die
Offenheit „vermöbeln“, indem ich ihn in eine Enge zwinge, der ich einst
unbedingt entfliehen wollte!?
Vielleicht
wäre es auch umgekehrt gekommen: Er wäre das glücklichste Kind auf diesem
Planeten geworden und hätte sich nur ungern an seine Kindergartenzeit in Wien
erinnert. Wir werden es wohl nie erfahren. Denn die Entscheidung fiel gestern:
gegen Hirschbach und für das Weitersuchen nach einem größeren Wohnraum in Wien
und Umgebung – in der Hoffnung, dass russische Oligarchen und ihre Ehefrauen
bzw. andere Neureiche nicht die letzten noch verbleibenden leistbaren Orte
unbezahlbar machen.
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