18.12.17

Lange Leitung

Es war die Zeit der neon-farbenen Schianzüge, der wasserstoffblonden Meschen, der schwarzen Lidstriche und gestreiften Jeans, der Nietengürtel, Netzleiberl und Jogging High. Auf Ö3 liefen Duran Duran, Pet Shop Boys, Madonna, Milli Vanilli und Michael Jackson. Udo Huber präsentierte ‚Die großen 10’ im Overall. Wir trugen die Haare dauergewellt, auffrisiert und mit reichlich Haarspray fixiert.

„Fasse dich kurz“, war jener Satz, den mein Papa damals stets gebrauchte, wenn er mein Ohr in Teenagertagen am Telefonhörer hängen sah. Und ich hing wirklich oft und lange in der Leitung, die in den 1980er-Jahren noch eine geschäftliche war und tunlichst frei zu bleiben hatte, um Nachrichten über Waschmaschinenstörungen, FI-Schutzschalterprobleme oder andere Herausforderungen in Sachen Elektroinstallation entgegenzunehmen.

Dazu kam noch, dass Telefonieren in meiner Kindheit und Jugend eine eher kostspielige Angelegenheit war (so hieß es zumindest). Wir hatten kein kostengünstigeres Viertel-Telefon. Insofern kannte ich das bange Warten auf eine freie Leitung, an der bis zu drei andere Haushalte hingen, nur vom Hörensagen. Meine Schulfreundin Elke, die das Ziel meiner Anrufe war (oder ich eben ihrer) hatte auch einen so genannten vollen Anschluss. Das hing – meiner Erinnerung nach – ursächlich damit zusammen, dass ihr Vater bei der Post arbeitete und für Telefone bzw. deren Entstörung zuständig war. Von der Qualität der Leitungen her waren wir also durchaus privilegiert. Bei ihr mahnte jedoch niemand die Kürze der Telefongespräche ein.

„Was habt ihr euch so viel zu erzählen? Ihr seht euch ja eh morgen in der Schule wieder“, hieß es bei uns zu Hause. Dass es Dinge zu besprechen gab, die sich für die kurzen Pausen in der Schule nicht eigneten bzw. den zeitlichen Rahmen einfach sprengen würden, wollte meine Eltern nur schwer glauben. Und so musste ich fast jedes Telefonat verteidigen bzw. vor Beginn der Redezeit versprechen, es kurz zu halten. Dass Zeit relativ ist, war mir schon damals klar. Meine Minuten dauerten eindeutig länger als die der Erwachsenen.

Ich beneidete jene Kids, die ich aus in den USA gedrehten Videofilmen kannte: Sie entrollten einfach das Kabel und entschwanden mit dem Telefon in ihr Zimmer. Das ging nicht. Unser Telefon war lange Zeit an die Wand montiert. Ich stand meist an ebendiese gelehnt am Gang neben dem Stiegenhaus und hatte im Winter stets einen dicken Pullover und zwei Paar Socken an, um den gedämpften Temperaturen außerhalb der Wohnräume standzuhalten. Mobiltelefone existierten in den 1980er-Jahren nicht einmal in meinen kühnsten Vorstellungen; auch wenn ich damals viel Science Fiction im Fernsehen oder auf Video sah und in Büchern las.

Heute fasse ich mich freiwillig kurz. Grund dafür sind nicht die Kosten: 1000 Freiminuten würden viele Endlostelefonate mit Freundinnen erlauben. Doch hat mir die Mobiltelefonie das Telefonieren etwas vermiest. Ob es nur an der fehlenden Leitung liegt? Kaum. Eher an der in Ohr und Kopf spürbaren Hitze, die das Telefon abgibt. Sie ist eines der Hauptargumente für meine Zurückhaltung beim Telefonieren. Außerdem lässt sich viel auch mit SMS oder Whatsapp „besprechen“. Mit manchen Menschen kommuniziere ich fast ausschließlich auf diesem Weg.

Anfang letzter Woche hing ich übrigens mit meiner bereits genannten Schulfreundin wieder an der mobilen Leitung. Da ich Kopfhörer schon vor mehreren Jahren als wichtiges Zusatz-Tool von Mobiltelefonen entdeckt habe, war das Smartphone weit genug vom Ohr weg, um mein Gehirn auf Normaltemperatur zu halten. Unser Gespräch dauerte so lange wie einst – gute eineinhalb Stunden. Wir tun es zwar nicht mehr täglich, aber zumindest zwei bis drei Mal pro Jahr. Und es ist fast wie in alten Zeiten – auch ohne Lidstrich und Drei-Wetter-Taft.

2 Kommentare:

  1. Und jetzt noch Fotos von dir aus den Achtzigern posten ;)

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  2. Wasserstoffblonde Haare und neongelber Schianzug - das erspar ich den LeserInnen lieber ;).

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