„Fernsehen
ist Volksverblödung“, sagte mein Onkel. Wir waren noch Kinder und gierten nach
Serien wie Bonanza und Mondbasis Alpha 1. Doch in jenen zwei Wochen im Sommer
in St. Pölten, die meine Schwester und ich bei meiner Oma verbrachten, war die
Zeit fernseherlos. Oder zumindest sehr reduziert. Meine Oma lebte gemeinsam mit
ihren beiden erwachsenen Söhnen in einer Mietwohnung unweit der
Franziskanerkirche.
Des Abends
hörten wir jenen Onkel, der immer zu Hause war – im Gegensatz zu seinem Bruder –
und unsere Oma lachen, wenn sie über einen Gag in schallendes Gelächter
ausbrachen (vorzugsweise meine Oma), den zu sehen uns nicht bestimmt war. Lagen
wir doch schon längst verteilt auf Diwan und französischem Bett im
Schlafzimmer. Meine Oma saß strickend im Schaukelstuhl. Mein Onkel hinter
seinem Zeichentisch auf einem bequemen Büro-Chefsessel im Kabinett vor dem
Fernseher. In den 1970er-Jahren stand da ein beleuchtetes Schiff drauf.
Angeblich, um den Augen etwas Gutes zu tun, falls man zu lange in die Röhre
starrte.
Mein Onkel
unterschied zwischen guten und schlechten Sendungen. Filme mit Jerry Lewis und
Dean Martin zählten in seinen Augen zu den guten. Die meisten anderen waren schlecht.
Doch einmal
schlug das Schicksal ihm ein Schnippchen. Das Begräbnis einer verstorbenen
Großtante führte Onkel und Oma nach Wien-Hietzing. Und wir fuhren für den
Nachmittag nicht zurück ins Waldviertel, sondern blieben bei Omas Schwester –
in einer kleinen Wohnung, die mir damals regelmäßig klaustrophobische Gefühle
bescherte. Doch an dem Nachmittag war die Größe unwesentlich. Im Fernsehen lief
die Hochzeit von Diana Spencer und Prinz Charles. Ich währte mich für einige
Stunden lang im siebenten Himmel; war noch ganz im Prinzessinnenland, als wir
zu meiner Oma zurückfuhren.
Der Kopf mühte
sich noch mit der Verdauung der gesehenen Bilder. Und auch der Magen hatte
einiges in kleinere Teile zu zerlegen: Palatschinken und Guglhupf waren an
jenem Nachmittag der Popcorn-Ersatz.
„Du wirst
noch viereckige Augen kriegen.“ Eine Warnung, die ich als Kind stets auch von
meinen Eltern hörte, sollte ich mehr als eine Stunde vor dem Fernseher
zubringen. Der TV-Konsum war in meiner Familie für uns Kinder generell
rationiert – obwohl im Geschäft meiner Eltern stets zig neue Modelle in der
Braunwaren-Abteilung standen. Eine Bezeichnung aus jener Zeit, da die HiFi- und
Fernsehtechnik noch in edle Hölzer gefasst war.
Um 19.30
Uhr nach der Vorabendserie war Schluss. Die Sendungen des Hauptabendprogramms
waren bis zum Ende meiner Schulzeit großteils Second-Hand-Ware. Ich erfuhr die
wesentlichen Geschichten und Details von Schulfreundinnen. Und die daraus in
meinem Kopf generierten Filme waren sicher spannender als das Geschehen im Fernsehen.
Allerdings war ich froh, dass der Schuss auf J.R. Ewing just in die
Sommerferien fiel, denn so konnte ich „live“ dabei sein, als das Ölmagnaten-Familien-Imperium
aus Dallas gerade wieder durch sämtliche Höhen und Tiefen ging.
1997 verstand
ich nicht, dass meine Freundin und Reisebegleiterin den Großteil unserer Zeit
auf Rhodos vor dem Fernseher verbrachte, als die geborene Lady Spencer in Paris
bei einem Autounfall starb. Nicht, dass mir ihr Tod egal gewesen wäre. Doch blieb
es mir ein Rätsel, wie man sich die Bilder und Kommentare zu einem Ereignis Stunde
um Stunde, Tag für Tag stets wieder ansehen konnte.
Als ich
1990 nach Wien zog, hatte ich einen kleinen Röhrenfernseher dabei. Er diente
eher als Staubfänger denn als Unterhaltungsgerät. 2001 übersiedelte er nicht
mehr mit mir vom neunten in den dritten Bezirk. Ich habe ihn nie vermisst. Und
wenn ich heute ab und zu mal in einem Hotel in eine Flimmerkiste schaue, drehe
ich meist genervt nach wenigen Minuten wieder ab. Die Filme sind synchronisiert
(wenn ich mal im deutschsprachigen Fernsehen bleibe – so wie anno dazumal) und
alle anderen (Reality-)Shows für mein Leben von wenig bis keiner Relevanz. Doch
sogar das Schauen im Hotelzimmer interessiert mich mittlerweile nicht mehr. Zu
groß ist der Verlust an Zeit und Leben, um mich dem passiven Schauen
hinzugeben.
Aber auch
ich bin ein normaler Mensch; das beweist unser Wand füllendes Bücherregal: Ein
Teil ist den DVDs gewidmet. Mad Men, Battlestar Galactica, Medium, 4400, Lost,
Desperate Housewives, Game of Thrones, Life on Mars – all das schaute ich „nur“
auf dem Computer. Und oft natürlich in Serie. Sprich: An manchen Abenden drei
Folgen am Stück (bevor unser Sohn auf die Welt kam). Von mehr hielten mich die
daraus stets resultierenden Kopfschmerzen ab. Aber es ist zu verlockend, gleich
am selben Abend zu erfahren, wie es denn nun mit Starbuck, der Liebe von Susan und
Mike oder Don Draper weiterging. Und ob der Winter nun wirklich kommt und die
Starks in alle Winde zerstreut bleiben.
Dem
eingangs erwähnten Satz meines Onkels konnte ich über die Jahre mehr und mehr
abgewinnen. Und unser Sohn wächst nicht zuletzt deshalb ohne Fernseher auf. Was
er wohl einst über seine Kindheit und Sehgewohnheiten sagen wird? Ich werde es
vielleicht in zwei, drei Jahrzehnten auf einem heute noch nicht existenten
Kanal erfahren – oder auch nicht.
beim Fernsehen bin ich niemals in schallendes Gelächter ausgebrochen. Es war sogar so, dass sich Mutter und Bruder in meiner Anwesenheit das Lachen verbissen und erst, als ich zu Bett ging, in schallendes Gelächter über irgendein Filmchen ausbrachen. Es war mir unangenehm, dass sie in meiner Anwesenheit nicht zu lachen wagten, aber so war es. Jerry Lewis und Dean Martin gehörten im Gegensatz zu Mundl Meerkatz jedenfalls nicht zu meinen Favoriten und auch heute sitzt Elli allein vor dem Fernseher, weil mich Filme völlig anöden.
AntwortenLöschenWieder mal ein typischer Fall von verklärter Erinnerung oder wie das vermeintlich gute Gedächtnis doch entscheidende Lücken aufweist.
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