Das Haus
meiner Eltern war nie versperrt, als wir Kinder waren. Durch das Tor konnte
jeder herein. Und wenn er sich auskannte, fand er auf dem Weg durch die für
drei bis vier Autos Platz habende längliche Garage auch die Tür zu unserer Wohnung.
Die stand ebenso offen. Viele beließen es in jener Zeit, unten zwischen der zum
Elektrounternehmen gehörigen Werkstatt und unserer Wohnungstür stehenzubleiben
und „Hallo, Frau Ziegelwanger“, nach meiner Mutter zu rufen. Das waren dann
meist Menschen aus dem Dorf, die dringend etwas für Hof und / oder Heim
brauchten: Sicherungen, Steckdosen, Kabel, Drähte oder ähnliche wichtige
Utensilien für den Heimwerker. Jene, die zu Gast kamen, kletterten die drei
Stiegen-Absätze nach oben und marschierten schnurstracks in Richtung Küche.
Ich wuchs in
diesem offenen Haus auf. Meine Eltern feierten Geburtstage und andere (wilde)
Partys, von denen heute noch Fotos zeugen – vor orange-braun-beigen Tapeten im
Wohnzimmer; auf knallgelben Fauteuils, in die Luft eingepumpt werden musste wie
in ein Schlauchboot. Natürlich gab es immer ausreichend zu essen. Und so
standen wir bereits als Kinder in der Küche und machten Spießchen mit Käse,
Weintrauben, Wurst und anderen Leckereien, die wir auf einen großen Krautkopf
steckten. 1970er-Jahre eben. Für uns gab es – so wir eine Weile dabei bleiben
durften – das sonst nie in unserer Speisekammer zu findende Fanta oder Keli
Himbeer zu trinken. Was die Erwachsenen tranken, weiß ich nicht mehr.
Es dauerte
in etwa bis zu meinem zehnten oder elften Geburtstag, da ich selbst die erste
Silvesterparty organisierte. Ganz ohne Eltern; die feierten ein paar Häuser
weiter mit ihren Freunden. Mein erstes Buffet war bunt: neben den von
Weihnachten übrig gebliebenen Schoko-Nuss-Schnitten türmten sich belegte
Brötchen mit einem Mayonnaise-Ketchup-Senf-Gemisch, gefüllte Eier und die
obligatorischen Rollmöpse für Mitternacht. Wir drehten die Stereoanlage im
Wohnzimmer bis an die Dezibelgrenze auf und tanzten zu Duran Durans „Wild Boys“
bei rot-blau-grüner Discobeleuchtung.
Wir wurden
älter – und die (Silvester) Partys etwas wilder. Ich erinnere mich noch an den
Satz: „Lieber, ihr feiert bei uns zu Hause, als ihr fahrt in dieser Nacht
irgendwo mit dem Auto herum.“ Und so kam es, dass unsere Gäste immer wieder mal
bis zum Neujahrstag blieben und dann bei Kaffee und Mohnstrudel über die
vergangene Nacht plauderten, sofern sie nicht von einer besorgten Mutter nach
Hause geholt wurden.
Als ich
meinen Lebensmittelpunkt nach Wien verlagerte, änderte dies nichts an den
offenen Waldviertler Türen für meine Freundinnen. Unter der Mansarde, wo ich
immer noch residierte, wenn ich daheim bei meinen Eltern war, gab es stets
genug Platz für mindestens drei oder vier zusätzliche Schläferinnen. Und auch
der Kühlschrank schien irgendwo eine „Zauberlade“ zu haben – denn er blieb
stets gut gefüllt (danke!). Für mich war das immer selbstverständlich. Und ich
reagierte mit Verwunderung, dass es anderswo nicht so offen gehandhabt wurde
wie bei uns daheim.
Ich
erinnere mich auch noch an den Herbst 1994. Da feierten meine Eltern ihre
silberne Hochzeit. Zur Party kamen groß und klein und jung und alt. Und als die
Älteren damals den Garten und den Zubau hinter dem Garten verließen, feierten
wir Jungen mit unseren Freunden noch ein paar Stunden weiter. Natürlich gab es
den obligatorischen Tequila Sunrise im 20 Liter fassenden Plastik-Bottich. Und
einen, der es mit dem Auto nicht mehr in den drei Kilometer entfernten
Nachbarort schaffte, sondern der bei uns übernachtete; am nächsten Morgen
jedoch aufs Frühstück dankend verzichtete.
Geht das
auch in Wien? Nur bedingt. Meist kündigen sich Gäste an, als dass sie plötzlich
vor der Tür stehen. Nicht so am Mittwoch Abend dieser Woche: Kurz vor sechs
läutete es. Brandon, das Au-Pair eines Kindergartenfreundes von Colin, stand
vor der Tür, um von uns geliehene DVDs retour zu bringen, bevor er wieder nach
New York zurückflog. Das nächste Bimmeln war unser Nachbar, der uns zwei
Sackerl mit Sachen von ihrem für unseren Sohn vorbeibrachte. Brandon blieb dann
zum Abendessen und sagte, dass er noch nie irgendwo so herzlich aufgenommen und
bewirtet worden war wie bei uns; nicht nur an diesem Abend. Und er nahm sich
das für sein weiteres Leben vor: ein guter Gastgeber zu sein. Bis zu diesem
Zeitpunkt hatte es sich nicht im geringsten angekündigt, dass wir auch nur
irgendeinen Eindruck bei ihm hinterlassen hätten. Scheinbar muss der Spruch:
„Die Wiener werden erst beim Abschied herzlich.“ neu überdacht werden.
Dass an
jenem Abend etwa eine Stunde später meine Eltern überraschend vor der Tür
standen und läuteten – auch damit hatte niemand gerechnet. Da ich allerdings
auf einem Netzwerktreffen war und Erwin das Klingeln nicht gehört hatte, gingen
sie wieder, ohne Einlass gefunden zu haben. Sie ließen jedoch ein Sackerl für
ihren Enkel an der Tür hängen. Meine Eltern haben ihr Waldviertler Vertrauen in
die Menschen nach Wien mitgebracht und es wurde nicht enttäuscht. Stunden
später hingen Sackerl und Inhalt noch an der Türschnalle, als ich vor Mitternacht
nach Hause kam.
Sehr feiner Beitrag :-))
AntwortenLöschendanke :)
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