Als ich vom
Waldviertel nach Wien kam, da lagen Städte wie New York, Washington und Boston
dazwischen, die ich als Au Pair betreten und teils bewohnt hatte. Die Wiener Häuser
erschienen mir nicht gar so mächtig – wenn auch prächtig. Vor allem jene am
Ring. Und ich dachte mir: Wie kannst du da wohl Menschen kennenlernen?
Etwa fünf
Jahre später entpuppte sich der erste Anschein von Dorf-Charakter in der
Großstadt. Als meine Schwester für zwei Tage auf Besuch war, traf ich einen
Arbeitskollegen in der Wollzeile, als wir bei der Buchhandlung Morawa
vorbeiflanierten. Und er war nicht der einzige an jenem Tag, den wir trafen.
Ich war beeindruckt. Meine Schwester auch. Denn wir waren es zwar gewohnt,
durch unseren Heimatort zu gehen und jeden zu grüßen, der uns über den Weg
lief. „S’ött“ hieß es dann. Das, was von „Grüß Gott“ übrig blieb. - Aber in Wien...?
Doch dass
sich, was als Zufallsbegegnungen begann, noch steigern ließe, hätte ich mir damals nicht gedacht. Ich erinnere mich noch an die Zeit, als ich Diplomarbeit schrieb.
Vorzugsweise nahm ich meine zu korrigierenden Seiten oder die zu lesende
Literatur in die Cafe Bar Urania mit. „Kommst du eigentlich immer nur zum
Arbeiten?“ fragte mich der Kellner, der mir den Cafe Latte (damals ohne
Koffein) fast schon ungefragt an meinen Platz mit Aussicht zum Donaukanal und
Uniqa-Gebäude stellte. Ich lernte Sandor und seine Geschichte kennen. Dass sein
Lebensgefährte einen Husky hatte und auch warum er eines Tages den Dienst in
meinem Lieblings-Cafe quittierte. Ich traf ihn noch einige Male (mit meinem
Kind) im Motto am Fluss. Jetzt auch dort nicht mehr; meine Cafe-Zeiten sind
rarer geworden.
Dafür lebe
ich seit bald zehn Jahren in einem Haus, das in sich fast wie ein Mini-Dorf
ist. Natürlich sind die Kinder ein verbindendes Glied in der Kette der
Umstände, die vorerst Fremde ein wenig zusammenschweißen. Mein Sohn spielt mit
den Zwillingen von Elisabeth. Und naturgemäß (?) sind es auch im 21.
Jahrhundert die Frauen, die die meiste Zeit mit den Kindern verbringen, während
die Männer arbeiten... Obwohl es auch in Österreich nicht mehr ohne
Frauenerwerbsarbeit geht. (Aber das ist eine andere Geschichte.) Mittlerweile
ist auch Tina mit ihrer Tochter dabei. Und zur Holzbank haben sich viele Stühle
und eine Hollywoodschaukel dazugesellt. Eine im Hof verfügbare Kaffeemaschine
existiert zumindest in unseren Köpfen.
Ich kenne
die Geschichte des Hauses und vieler seiner BewohnerInnen, die teils auch seine
BesitzerInnen sind. Und ich kenne auch jene Frau, die die Chronologie akribisch
zusammengesucht und –geschrieben hat, obwohl sie nicht zur Eigentümer-Familie
gehört. Weiß, warum sich eine Büste von Kaiser Franz Josef in der Vorhalle der
Stiege 4 thront und dass das Original im Postgebäude im 1. Bezirk steht.
Frühling,
Sommer und Frühherbst ist „Hofzeit“. Heuer etwas beeinträchtigt durch die
Baustelle auf unserer Stiege. An manchen Sommerabenden kann man von unserem
Fenster aus dem leisen Flüstern im Hof lauschen. Wenn der eine oder andere von
der (heurigen Rekord)Hitze in der Wohnung etwas Abkühlung suchte und sich
entweder in die Hollywoodschaukel oder auf die Holzbank setzte und ein kühles
Bier oder eine Limo trank.
Und das
„Dorf“ hört nicht auf, wenn ich das Haustor hinter mir schließe. Sei es die
Besitzerin vom Cafe nebenan oder jene der Boutique in unserem Haus, eine
Verkäuferin in der dm-Filiale oder einer der wenigen männlichen Verkäufer im
Biosupermarkt vorne am Rochusmarkt. Kein Weg in den Kindergarten läuft ohne
mindestens fünf Mal „Guten Morgen“ gesagt zu haben. Klar, von manchen kenne ich
den Namen nicht. Aber spielt das eine Rolle? Die beiden Frauen unserer
Anker-Filiale kennen meinen Sohn und geben ihm ungefragt seine Topfenbällchen
mit den Worten: „Tschüss Colin, einen schönen Tag im Kindergarten.“
Als ich vor
drei Tagen beim Magistratischen Bezirksamt war, um meinen Waldviertler
Nebenwohnsitz abzumelden, da sagte ein Kind zu seiner Mama: „Schau, die Mama
vom Colin.“ – „Hallo.“ Und ich dachte mir: „Ja, genau. Die Mama von Ferdinand
und Leopold.“ Bei über hundert Kindern im Kindergarten bin ich froh, alle
Eltern in Colins Gruppe beim Namen zu kennen. Und bei vielen bleibt es einfach
ein: Ja, kenn ich – vom Sehen.
Es ist eine
nicht zu leugnende Tatsache, dass ich im dritten Bezirk (nicht erst in diesem
Haus) Wurzeln geschlagen habe. Begonnen hat alles 1991 in der Hohlweggasse über
die Löwengasse und die Adamsgasse in die Landstraßer Hauptstraße. Die
Wohn-Ausflüge nach Simmering, Langenzersdorf und in den Alsergrund zählen
nicht. Und nun soll ich weg von hier? Eine größere Wohnung im Dritten ist für
„Normalverdienende“ schier unleistbar geworden.
Und so
spiele ich mit dem Gedanken zurück aufs Land zu gehen. Denn zum Preis einer
Eigentumswohnung in meinem Lieblingsbezirk kriege ich im Waldviertel fast schon
ein kleines Dorf...
Ja das mit dem Stadt-Land-Gefälle hat was ... und man/frau darf schon ehrlich hinschauen und sich immer wieder mal fragen, was man im Leben an Lebensqualität haben will und wo in diesem wunderschönen Österreich das zu finden ist ... ich zumindest stelle mir diese Frage gerade und ich werde - meinem Sohn zuliebe - noch mindestens 1 Jahr auch in Wien bleiben ... und wer weiß, in welches Dorf es mich dann hinverschlägt ;-)
AntwortenLöschenUnd auch die Antwort auf die Frage nach der Lebensqualität ändert sich mit den Jahren. Wollte ich früher unbedingt englischsprachiges Kino & Co genießen ist mir heute mehr nach Ruhe und grünen Bäumen, Wiesen und Weite :).
AntwortenLöschen