Birmingham
stand trotz meiner Allzeit-Liebe zu England nicht auf der „100 places to see
before you die“-Liste. Ich hatte eine ähnliche Erwartungshaltung, als hätte ich
das Ruhrgebiet als Destination gewählt, als ich im Sommer 1999 nach einem
Besuch bei meiner Schwester in Harrogate (Yorkshire) mit meiner Freundin Edith*
wieder weiter in den Süden fuhr. Vor dem Rückflug nach Wien wollten wir einen
Zwischenstopp bei Mona* machen; eine von Ediths Freundinnen aus ihren
Boy-George-Fan-Tagen, die nach England ausgewandert war.
Das
Beeindruckendste an der Stadt für den Chocoholic in mir war der Besuch der
Cadbury Schokoladenfabrik. Sie befand sich außerhalb der Stadt und somit artete
der geplante Kurzbesuch in einen Tagesausflug aus. Ich trank dort meine erste
mit Chili versetzte Original-Azteken-Schokolade und bekam sogar mehrere der
heißen Kostproben, da der Besucheransturm ein kleiner war. Ich lernte auch viel
über das Sozialprogramm von John Cadbury. Er ließ zuerst Häuser und später eine
ganze Stadt (Bournville) für seine Mitarbeiter bauen und unterstützte sie auch
in der Gesundheitsvorsorge. Das war Ende des 19. Jahrhunderts.
Und die
sightseeing-begeisterte Edith nutzte jeden Winkel der Anlage zum Besichtigen
und deckte sich neben vielen Informationen vor allem mit Schokolade und Keksen
ein. Mich erinnert heute noch eine Blechdose mit Kuh auf unseren Besuch dort.
Statt der Schokolade haben meine Armbänder und andere Schmuckstücke dort einen
fixen Platz gefunden.
Ich kannte
Mona nicht wirklich. Wusste nur, dass sie zu ihrem pakistanischen Freund
gezogen war und mit ihm in einem Haus in dem von mehrheitlich durch Pakistani
bevölkerten Stadtteil von Birmingham lebte. Und sie hatte sich bereiterklärt,
dass wir bei ihr übernachten konnten. Mona holte uns vom Bahnhof ab. Ich hätte
sie mit dem Tuch auf dem Kopf fast gar nicht mehr erkannt, das sie scheinbar
als Schutz vor dem leichten Regen trug. Mit dem Bus fuhren wir in die Nähe
ihres Wohnhauses und legten die letzten Meter zu Fuß zurück. Edith und ich
hatte ein eigenes Zimmer für die drei Nächte, die wir bleiben wollten, bevor
unser Flugzeug nach Wien retour abhob.
An jenem
ersten Abend kochte Mona ein opulentes Abendessen für uns. Der
Tisch bog sich unter der Vielzahl der Teller mit den verschiedensten Gerichten
zum Kosten. Ich aß zum ersten Mal Okraschoten. Und ich lernte, wie man eine
Mango wirklich isst. Voraussetzung für den unbeschreiblichen Genuss, der
Käuferinnen österreichischer Supermärkte verwehrt bleibt: Sie muss sehr reif
sein. Dann drückt man sie und an der spitzen Stelle tritt das weiche
Fruchtfleisch heraus. So lässt sie sich gut aussaugen. Süß und ganz nach
Dragee-Keksi-Art: Wenn ich nur aufhören
könnt. Ich denke, dass ich drei oder vier oder waren es fünf hintereinander
gegessen habe. Sie waren ja auch klein und insofern ein optimales Dessert für
eine, die Obst zu ihrer Lieblingssüßigkeit erkoren hat.
Als wir
unser Festmahl verschlungen hatten, trug ich unser Geschirr in die Küche. Ich
drehte das Wasser bei der Abwasch auf und wollte das benutzte Geschirr
reinigen, als mich Monas Lebensgefährte sanft aber bestimmt von dort wegschob
und mir erklärte, dass die Arbeit in der Küche Monas Aufgabe sei. Ich verließ
die den Ort unter Protest. Monas Blick war eindeutig: Lass es sein. – Okay, um des Hausfriedens willen, schwieg ich. Mit
Edith beplauderte ich diesen Vorfall, sobald wir uns ins Zimmer zum Schlafen
zurückgezogen hatten.
Davor
hatten wir unsere erste Begegnung mit dem Badezimmer gemacht. Zwar erinnere ich
mich nur noch dunkel, wie der im 1. Stock gelegene Nassraum ausgesehen hatte.
Sehr gut in Erinnerung ist mir das nicht vorhandene fließende Wasser in der
Badewanne des uns zugeteilten Raums für die Abendtoilette. In der Wanne stand
ein Kübel, der als Dusche diente. Ich fand mich mit der Katzenwäsche ab. Ins
Schwitzen kam ich in den Tagen dort ohnehin nicht – zu kühl, zu feucht –
britisches Wetter eben. Aber gegen eine heiße Dusche hätte ich nichts
einzuwenden gehabt, zumal es im Haus sehr kühl war und meine Bekleidung eine
sommerliche.
Mona lernte Urdu und sagte uns, dass sie das Kopftuch außerhalb des Hauses freiwillig
trug. Das war eine der wenigen Erklärungen, die wir von ihr hörten. Denn uns
mit ihr unter sechs Augen zu unterhalten, erwies sich als schwierig bis unmöglich.
Untertags arbeiteten Mona und ihr Freund. Am Abend ließ er sie quasi nicht aus
den Augen. Auch einen Spaziergang durch Downtown Birmingham, das gerade frisch
herausgeputzt und neu gestaltet worden war, machten wir zu viert. Saßen in
einem der neu eröffneten Lokale und begnügten uns mit einem antialkoholischen
Getränk ohne Eiswürfel.
Ob Monas
Gefährte damals regelmäßig gebetet hat? Ich denke schon. Natürlich hat er sich
nie vor unseren Augen in Richtung Mekka verneigt. In der Straße, in der die
beiden lebten und auch in den umliegenden waren nur pakistanische Familien zu
Hause. Auch seine Verwandten wohnten in unmittelbarer Gehdistanz. In der
Haupteinkaufsstraße dieses Viertels hörte ich nur selten ein englisches Wort.
Moscheen und Geschäfte wechselten einander ab. Edith sagte schon damals, dass
sie nicht wissen wollte, was die Imame den Leuten dort erzählten. Ich winkte ab,
sie solle nicht immer das gleich Schlechteste annehmen.
Edith und
ich flogen nach ein paar Tagen zurück nach Wien. Fast hätte sich unser
Aufenthalt unfreiwillig verlängert. Am letzten Tag kehrten wir von einer
Shopping-Tour zum Haus zurück und wollten die Tür aufsperren. Das Schloss
klemmte. Auch mit der Hilfe eines Nachbarn, der sicher kräftiger war als wir
beide, gelang es uns nicht. Ich sah mich schon eine weitere Nacht in diesem für
mich ungemütlichen Haus bleiben. Es war weniger der nicht reparierte Wasserhahn
im Bad als viel mehr die Stimmung, die in der Luft lag, die mich möglichst
rasch das Weite suchen lassen wollte.
Wir riefen
Mona in ihrer Arbeit an. Sie eilte zu uns und wir konnten die Tür quasi in letzter
Minute doch noch öffnen. Mona habe ich seither nicht mehr gesehen. Gerüchten
zufolge soll sie mehrere Kinder haben. Ob es wirklich das Leben ist, das sie
sich vorgestellt hatte, als sie Hals über Kopf Wien verließ, um sich aus den
Klauen ihrer Herkunftsfamilie zu befreien, bezweifle ich. Sie wollte ihren
Träumen nachjagen, England schien ihr das geeignete Pflaster dafür gewesen zu
sein...
* Die Namen
der Freundinnen sind geändert.
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