12.06.15

Die Putzfrau

An zwei auf einander folgenden Sommern (1988/89) wedelte ich in beiger Uniform durch das Horner Krankenhaus. Als Unternehmertochter und Maturantin erlebte ich erstmals den Unterschied von Mensch zu Mensch hautnah: Dass etwa in der Kantine ein Tisch dem Bodenpflegepersonal vorbehalten war. Ich erdreistete mich damals nichtsahnend, den Ärztetisch zu besetzen. Einmal. Nie wieder. Ich wurde unter vorgehaltener Hand gerügt. Fortan verzehrte ich lieber eine mitgebrachte Jause im Krankenhausgarten, als mich einem nicht gewinnbaren Kampf um einen Platz in der Kantine auszusetzen. Heute würde ich wohl sitzen bleiben. Nicht nur, weil ich mich aufgrund eines absolvierten Studiums „gleichberechtigt“ fühle, sondern weil ich eine derartige Hierarchie im Zusammenleben für hinterfragenswert halte.

Zu meinen Aufgaben als Putzfrau gehörte es, sämtliche Mistkübel zu leeren, Boden zu wischen, Tische zu reinigen, Fenster zu putzen – alles nach Plan und auch mal an den Wochenenden. Möglichst die Krankenschwestern nicht bei ihrer Kaffeepause zu stören. Sprich: unsichtbar zu bleiben. Achtzugeben, in der Dialyse-Station nicht von einer aus dem Mistsackerl hervorstechenden Nadel gepiekst zu werden. Denn ich war – im Gegensatz zum Standardpersonal im Krankenhaus – nicht Hepatitis geimpft.

Ich erinnere mich noch an die Chirurgie I. Dort lagen hauptsächlich Männer mit ihren schwarz gewordenen Raucherbeinen, die sie an einem Gestänge über dem Bett baumeln ließen und so an die Luft hielten. Im letzten Zimmer der Station war auch eine Frau mit einem offenen Bein. Sie erzählte mir, dass eine Teppichfaser ihren Unterschenkel in eine offenes Geschwür verwandelt hatte. Die Schwestern hatten eine andere Geschichte: Sie trinkt zu viel!

Nie vergessen werde ich auch jenen Samstag Nachmittag, als ich gerade das Herrenklo auf jener Station reinigen wollte. Hinter einer versperrbaren Kabinentür lugte ein Männerfuß (in eindeutig liegender Position) unter der Tür hervor. Ich lief ins Schwesternzimmer, musste ihnen zeigen, wo genau ich den Mann gesehen hatte. Und dann kam ich nicht mehr raus. Mein Ausweg zum Gang war blockiert von Ärzten und Schwestern, die den Mann wiederbeleben wollten. Es blieb beim Wollen. Er wurde kurz darauf in einem der leer stehenden Krankenzimmer aufgebahrt. Jener Raum stand noch auf meiner Liste der zu putzenden Zimmer. Nach einem kurzen Blick auf den Toten schloss ich rasch die Tür wieder und blieb draußen. Den Staub von einem Tag würde das Zimmer verkraften.

„Wenn’s dir graust, dann sag es uns.“ Die lang dienenden Putzfrauen boten mir ihre Hilfe an, als sie erfuhren, dass ich zwei Wochen auf der Geburtenstation meinen Dienst tun würde. Sie schilderten mir Kreißsäle voll Blut und anderer Relikte auf den Fliesen. Letztendlich musste ich sie nie um Hilfe bitten. Es waren zwei geburtsschwache Wochen. Und so schlimm fand ich die Spuren neuen Lebens auch gar nicht.

In jener Zeit hörte ich erstmals von Multiorganversagen, Beinahe-Todesfällen durch FSME, traf alte Bekannte in Krankenbetten und lernte neue Menschen in der Cafeteria kennen.

Seither begegne ich allen Putzfrauen mit Achtung. In diesen vier Wochen pro Sommer schwitzte ich viel, war abends relativ müde, bekam Muskeln an den Armen und fühlte mich manchmal wie nach einem Langstreckenlauf.

Und mir wurde klar: Ich will so nicht mein Geld verdienen müssen; einerseits aufgrund der körperlichen Anstrengung und andererseits aufgrund der Respektlosigkeit mit der einer oft begegnet wird. Dennoch ist es für Frauen – meist mit Migrationshintergrund – oft die einzig mögliche Erwerbsquelle, auch wenn sie in ihrer Heimat ein Studium absolviert haben.

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