An zwei auf
einander folgenden Sommern (1988/89) wedelte ich in beiger Uniform durch das
Horner Krankenhaus. Als Unternehmertochter und Maturantin erlebte ich erstmals
den Unterschied von Mensch zu Mensch hautnah: Dass etwa in der Kantine ein
Tisch dem Bodenpflegepersonal vorbehalten war. Ich erdreistete mich damals
nichtsahnend, den Ärztetisch zu besetzen. Einmal. Nie wieder. Ich wurde unter
vorgehaltener Hand gerügt. Fortan verzehrte ich lieber eine mitgebrachte Jause
im Krankenhausgarten, als mich einem nicht gewinnbaren Kampf um einen Platz in
der Kantine auszusetzen. Heute würde ich wohl sitzen bleiben. Nicht nur, weil
ich mich aufgrund eines absolvierten Studiums „gleichberechtigt“ fühle, sondern
weil ich eine derartige Hierarchie im Zusammenleben für hinterfragenswert
halte.
Zu meinen
Aufgaben als Putzfrau gehörte es, sämtliche Mistkübel zu leeren, Boden zu
wischen, Tische zu reinigen, Fenster zu putzen – alles nach Plan und auch mal
an den Wochenenden. Möglichst die Krankenschwestern nicht bei ihrer Kaffeepause
zu stören. Sprich: unsichtbar zu bleiben. Achtzugeben, in der Dialyse-Station
nicht von einer aus dem Mistsackerl hervorstechenden Nadel gepiekst zu werden.
Denn ich war – im Gegensatz zum Standardpersonal im Krankenhaus – nicht
Hepatitis geimpft.
Ich
erinnere mich noch an die Chirurgie I. Dort lagen hauptsächlich Männer mit ihren
schwarz gewordenen Raucherbeinen, die sie an einem Gestänge über dem Bett baumeln
ließen und so an die Luft hielten. Im letzten Zimmer der Station war auch eine
Frau mit einem offenen Bein. Sie erzählte mir, dass eine Teppichfaser ihren
Unterschenkel in eine offenes Geschwür verwandelt hatte. Die Schwestern hatten
eine andere Geschichte: Sie trinkt zu viel!
Nie
vergessen werde ich auch jenen Samstag Nachmittag, als ich gerade das Herrenklo
auf jener Station reinigen wollte. Hinter einer versperrbaren Kabinentür lugte
ein Männerfuß (in eindeutig liegender Position) unter der Tür hervor. Ich lief
ins Schwesternzimmer, musste ihnen zeigen, wo genau ich den Mann gesehen hatte.
Und dann kam ich nicht mehr raus. Mein Ausweg zum Gang war blockiert von Ärzten
und Schwestern, die den Mann wiederbeleben wollten. Es blieb beim Wollen. Er
wurde kurz darauf in einem der leer stehenden Krankenzimmer aufgebahrt. Jener
Raum stand noch auf meiner Liste der zu putzenden Zimmer. Nach einem kurzen
Blick auf den Toten schloss ich rasch die Tür wieder und blieb draußen. Den
Staub von einem Tag würde das Zimmer verkraften.
„Wenn’s dir
graust, dann sag es uns.“ Die lang dienenden Putzfrauen boten mir ihre Hilfe
an, als sie erfuhren, dass ich zwei Wochen auf der Geburtenstation meinen
Dienst tun würde. Sie schilderten mir Kreißsäle voll Blut und anderer Relikte
auf den Fliesen. Letztendlich musste ich sie nie um Hilfe bitten. Es waren zwei
geburtsschwache Wochen. Und so schlimm fand ich die Spuren neuen Lebens auch
gar nicht.
In jener
Zeit hörte ich erstmals von Multiorganversagen, Beinahe-Todesfällen durch FSME,
traf alte Bekannte in Krankenbetten und lernte neue Menschen in der Cafeteria
kennen.
Seither begegne
ich allen Putzfrauen mit Achtung. In diesen vier Wochen pro Sommer schwitzte ich
viel, war abends relativ müde, bekam Muskeln an den Armen und fühlte mich
manchmal wie nach einem Langstreckenlauf.
Und mir
wurde klar: Ich will so nicht mein Geld verdienen müssen; einerseits aufgrund
der körperlichen Anstrengung und andererseits aufgrund der Respektlosigkeit mit
der einer oft begegnet wird. Dennoch ist es für Frauen – meist mit
Migrationshintergrund – oft die einzig mögliche Erwerbsquelle, auch wenn sie in
ihrer Heimat ein Studium absolviert haben.
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