Die Hitze der Stadt ist im Sommer brutal,
wenn man fürchterlich matt ist, wird das Leben zur Qual.
Darum strömen die Blassen zu den städtischen Kassen,
denn die Frische, die hat man nur in einem Bad.
In einem
der Sommer der 1980er-Jahre, als dieses Lied von Rainhard Fendrich gerade „der
Hit“ war, packte mich der Ehrgeiz, es auswändig zu können um mitzugrölen, wenn
ich Ö3 hörte. Also schrieb ich mit, als er im Radio sang. Und hoffte, dass
nicht der Moderator mittendrin mit seinen Worten unterbrach.
So wuchs
ich auf. Mit Ö3 im Radio: Am späten Samstag Nachmittag begann der Countdown der
Top 40. Und am Sonntag präsentierte Udo Huber in einem seiner unvergesslichen
Overalls die Top 10. Dann kam MTV – und das erste lange Musik-Video: Thriller
von Michael Jackson. Der Sender und die dort gespielte Musik prägten meine
Kindheit und Jugend. Das weitere Spektrum der Noten, Instrumente und weiterer
Ingredienzien erfuhr ich in Wien. Als ich mit Anfang zwanzig meine ersten
Frauenfrühstücke in Wien besuchte und regelmäßig bei einer Klassikliebhaberin
zu Gast war, deren Katze Beatles hieß, hörte ich erstmals bewusst Vivaldi,
Händel und berühmte Komponisten, von denen ich in der Schule zumindest mal den
Namen gehört hatte. Die Werke jedoch nicht. Sie versuchte, mich in die feinen
Klänge der Klassik einzuführen. Und ihr Bemühen trug tatsächlich Früchte. Ich
lernte bei ihr Carmina Burana kennen und lieben.
Im
Wohnzimmer meiner Eltern fand ich in den 1970er-Jahren Compilations mit Vicky
Leandros, Catharina Valente, Mireille Mathieu und anderen. Neben Nazareth
hatten sich auch Bonnie M. ins Plattenregal gereiht.. Doch gibt es diese
Sammlung heute – meines Wissens – nicht mehr. Genauso wenig wie den
Plattenspieler, den ich schon in sehr jungen Jahren selbst bedienen durfte.
Zuerst um Märchen zu hören, dann die Nibelungensage rund um Siegfried, den
Drachentöter als Hörspiel. Dass es den Ring der Nibelungen als Oper gibt,
lernte ich erst viel später.
Als in der
Unterstufe des Gymnasiums ein Professor sich bemüßigt fühlte, uns die „Programmmusik“
näher zu bringen, entdeckte ich auf einmal, dass das Plattenregal meiner Eltern
auch ein paar Gustostückerln enthielt: Ravels Bolero inmitten der Schlagersammlung.
Aha. Dieser Professor in der vierten Klasse war auch der erste und einzige, der
uns nicht wie sein Vorgänger nur deutsche Lieder auswändig lernen ließ – alle
abgedruckt im „Komm sing mit“ und
replizierfähig in der jeweils nächsten Musikstunde.
Pierre
Bourdieu schreibt in „Die feinen Unterschiede“, dass der aktive Umgang mit
bildender Kunst oder Musizieren in der Regel außerhalb der Schule erworben wird.
Also liegt es nicht an meinem Elternhaus, dass ich an der hohen Kunst so wenig
interessiert war bzw. so wenig darüber wusste und teils noch immer nicht weiß.
Ich erinnere mich an einen Museumsbesuch Anfang der 2000er-Jahre, als mein
Vater mit mir die Bilder von Albin Egger-Lienz betrachtete und ich auf einmal
gewahr wurde, dass er über die Techniken und Stilrichtungen der Malerei sehr
viel zu erzählen wusste. Ebenso wie mein Mann. Beide haben „nur“ eine Lehre
absolviert. Mein Vater hängte noch in jungen Jahren die Meisterprüfung dran.
Und mein Mann kann seit zwei Jahren einen BEd hinter seinen Namen stellen. Das
sind natürlich zwei Beispiele aus meinem persönlichen Umfeld ohne statistische
Relevanz.
Woher kommt
also das Interesse bzw. Desinteresse? Mein Mann hat als Kind mit seiner Mutter
Opern gehört. Beide Männer (Vater und Ehemann) zeichnen gerne. Also ist es
logisch, dass sie sich mit der bildenden Kunst aus freien Stücken beschäftigt
haben. – Und ich?
Ich habe
immer gern gelesen. Als Kind sehr viel, als Jugendliche ebenso. Zuerst Mädchenbücher:
Hanni & Nanni, Gulla, Karin, Trotzkopf und von jeder Serie alle verfügbaren
Teile. Eine Zeitlang Science Fiction, dann Stephen King und davor alles rund um
die Geheimnisse des Bermuda-Dreiecks, des 8. Kontinents, die ungeklärten Rätsel
der Menschheit etc. Die Wahl meiner Bücher richtete sich auch nach dem bei Donauland
verfügbaren Angebot. Das spiegelte sich auch im Wohnzimmer meiner Eltern wider:
Konsalik und Simmel, Sagan, Holt und andere. Kein Dostojewski, kein Goethe,
kein Schiller – auch kein John Irving.
Ich hatte
bei der Matura ein Leseliste, die mehr als zehn Werke aus der deutschen
Literatur umfasste. Bei der schriftlichen Reifeprüfung entschied ich mich für
ein Wirtschaftsthema, was für eine Schülerin der HAK auch naheliegend war. Zum
Glück wurde nie überprüft, ob und was ich tatsächlich davon gelesen hatte.
Jetzt darf ich es ja sagen: Im Alter von 19 waren es keine drei. Vieles davon
werde ich wohl bis zu meinem Lebensende nicht nachgelesen habe. Weil die
zeitgenössische Literatur genug spannende Werke bietet.
Und unser
Sohn? Wird er einst Opernarien nachträllern wie sein Papa? Oder vor einem
Breughel im Kunsthistorischen Museum in Kontemplation versinken? Marcel Proust
von Anfang bis zum Ende lesen und der verlorenen Zeit auf die Spur kommen?
Derzeit spricht einiges dagegen. Der 4 ½-Jährige baut gerne Lego. Mittlerweile sogar
kleine Lego-Technic-Sets ältere Kinder nach Plan. Um den selbst „lesen“ zu
können, ist das Erkennen der Ziffern eins bis vier sehr hilfreich.
„Mama, drei plus zwei ist fünf. Fünf plus fünf ist zehn. Eins plus
neun ist zehn. Sechs weniger drei ist drei.“ Seine Welt scheint momentan von Zahlen
dominiert zu sein. Buchstaben hingegen interessieren ihn – bis auf jene des
eigenen Namens – eher wenig. Und doch geht er auf eigenen Wunsch in Musik-Kreativ
und singt auch im kindergarteninternen Blumenchor. Mal sehen, was die Zukunft für
ihn bereithält. Die statistische Wahrscheinlichkeit eines Uni-Abschlusses ist
bei ihm jedenfalls um einiges höher als sie bei mir war.
Sehr feiner Blogbeitrag! Danke
AntwortenLöschenDanke :)
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